Austrittserfahrungen
1970, 1971
Werner Zurfluh
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1.6.1970
Beim Einschlafen höre ich deutlich die Worte «... dieser Sprung entsteht ...» Gleichzeitig knackt es laut. Sofort bin ich hellwach und überlege, was diese Phänomene für eine Bedeutung haben: «Bestimmt handelt es sich hier um ein synchronistisches Ereignis! Aber welches sind die Ursachen, die zu dieser Wortfolge und zum Knacken geführt haben, und worin besteht der akausale Zusammenhang!» denke ich - und werde augenblicklich durch das laut und scharf gesprochene Wort «Bezugslosigkeit» in meinem Gedankengang unterbrochen und von einem heftigen Knistern geplagt.


26.7.1970
Mitten in der Nacht bin ich plötzlich hellwach und habe das deutliche Gefühl, daß ich mich von meinem im Bett liegenden Körper ablöse, so als ob ich mit einem Zweitkörper aus der Hülle des physischen Leibes aussteigen würde. Dies geschieht bei klarstem Bewußtsein, wobei ich ganz besonnen bleibe und mir in allen Punkten über meine augenblickliche Situation im klaren bin. Ich weiß, wo ich bin, was ich tue, und ich empfinde diesen Vorgang wie die Krönung nach einer langen Zeit des Suchens und wie das Wiederfinden eines verloren geglaubten Erfahrungsschatzes.

Langsam schwebe ich von meinem Bett aus dem Fenster des Dachstockzimmers hinaus, in dem meine Kameraden schlafen. Ich sehe sie in ihren Betten liegen und wundere mich über das geheimnisvolle Licht, das über allem liegt und die Gegenstände wie von innen heraus leuchten läßt. Draußen fliege ich schräg nach oben - bis in eine Höhe von etwa 20 Metern über dem Boden.

Beinahe schlagartig sehe ich nun den sternenübersäten Himmel über mir. Abermillionen Sterne und Galaxien gleißen und glitzern in einer zutiefst beeindruckenden Schönheit, als wäre ich irgendwo hoch oben in den Bergen draußen vor der Hütte, um in der klaren und mondlosen Nacht in das Firmament hinaufzuschauen. Ich stelle fest, daß ich das diesseitige Universum sehe. Ich hätte außerhalb des physischen Körpers eher erwartet, eine andere Welt zu sehen, aber dem Aussehen nach zu urteilen, muß es sich um den normalen Sternenhimmel handeln. Dennoch fühle ich mich in dieser Unermeßlichkeit des Raumes völlig allein und irgendwie verloren. Deshalb beginne ich nach einiger Zeit nach einem 'Führer' und 'Meister' zu rufen. Aber trotz mehrmaliger Wiederholung rührt sich nichts - ich bleibe allein unter der majestätischen Weite des Sternenhimmels. Schließlich rufe ich nach Jesus Christus, doch es geschieht weiterhin nichts.

Nach ein paar Minuten komme ich zum Schluß, daß ich wohl noch zu wenig reif für derartige Reisen sei. Plötzlich erinnere ich mich an einen Freund, der vor kurzem in Indien war und dort meditiert hatte. Ich vermute bei ihm Verständnis für meine Situation und rufe deshalb laut seinen Namen. Tatsächlich erscheint er ziemlich rasch und begleitet mich auf der Rückkehr in den Dachstock. Dann bin ich wieder im Bett, schlage die Augen auf und bleibe eine Weile nachdenklich liegen. Später schlafe ich ein.


9. August 1970
In den letzten paar Wochen ist es mir mehrere Male gelungen, mich vom Körper abzulösen und in den außerkörperlichen Zustand hinüberzuwechseln. Aber ich weiß nicht, was ich damit anfangen und wie ich dieses Ereignis einordnen soll. Heute war ich wiederum erfolgreich: Ich habe meinen Zweitkörper willentlich aus dem schlafenden Körper wie einen Zapfen aus dem Flaschenhals gezogen.


24. August 1970
Aus irgendeinem Grunde erwache ich mitten in der Nacht. Daraufhin versuche ich eine Körperablösung, was aber nicht gelingen will, so sehr ich mich auch anstrenge. Sch1ießlich kann ich doch die 'anderen' Augen öffnen und das dunkle Zimmer sehen. Gleichzeitig löse ich mich wie ein Blatt vom im Bett liegenden Körper ab und gehe die paar Schritte zum Fenster hinüber, wo ich stehen bleibe - und mich auf die Möglichkeit besinne, mit dem abgelösten Zweitkörper durch geschlossene Fenster gehen zu können. Dann springe ich durch die Scheibe hindurch.


28. November 1971
Nach dem Mittagessen lege ich mich mit der Absicht hin, die Einschlafphasen ganz genau zu beobachten. Als erstes stelle ich ein stufenweises Absinken meines Bewußtseins fest. Diese Ausdrucksweise scheint mir jedoch nicht korrekt zu sein, denn mein lch-Bewußtsein mindert sich nicht, sondern es verlagert und verschiebt sich, weil meine Aufmerksamkeit sich anderen Dingen zuwendet. Das reale Alltagsleben um mich herum nimmt seinen üblichen Lauf, während ich mich empfindungsmäßig immer weiter von ihm entferne, nicht nur bildlich gesprochen, sondern sogar körperlich mit dem Zweitkörper. Denn ohne Anstrengung ist mir eine Ablösung gelungen. Sie geschah wie selbstverständlich als Nebeneffekt der aufmerksamen Beobachtung der Einschlafphasen. Nun gehe ich sogleich durch die geschlossene Balkontüre hindurch auf die Veranda hinaus. Unterwegs vergewissere ich mich mehrere Male meines Zustandes, nämlich der Tatsache, daß ich dies 'schlafend' tue und nicht 'real'. Ich denke auch an einige frühere Körperablösungen und vergleiche sie mit der eben erst durchgeführten. Es fällt mir auf, daß ein Austritt während des Mittagsschläfchens leichter zu bewerkstelligen ist als des Nachts.

Draußen im Garten höre ich plötzlich die laut gewordenen Stimmen der spielenden Kinder. Ihr lustiges Geschrei reißt mich ins Bett zurück und 'weckt mich auf'. Aber ich verhindere ein totales .Einklinken, des Zweitkörpers, indem ich die Empfindungen des physischen Körpers in einem 'schwebenden Dämmerzustand' belasse. Als erstes bleibe ich natürlich reglos liegen, und außerdem registriere ich die Sinneseindrücke aus dem Alltag nur ganz am Rande und schwäche sie ab, indem ich meine bewußte Aufmerksamkeit als selektiven Filter einsetze und die äußeren Ereignisse nicht besonders beachte. Statt dessen beobachte ich konzentriert das .innere, Geschehen.

Bald stehe ich wieder mit dem Zweitkörper neben dem Bett und blicke auf die Veranda hinaus - ohne darauf zu achten, wie die Kinder auf der Alltagsebene herumtoben. Solange ihre Stimmen nicht übermäßig laut werden, wird meine Konzentration auf die optischen Eindrücke nicht beeinträchtigt.

Ich sehe den Garten, die Felder und etwa 200 Meter von meinem Standort entfernt Landschaftsbilder einer anderen Welt. Die Grenze zwischen den beiden Welten bildet ein von hohen Bäumen gesäumter Bach, auf dessen anderer Seite einige Hochhäuser stehen. Und in der Ferne erblicke ich die höchsten Gipfel eines imposanten Gebirges.

Ich bin mir meiner Bewußtseinsstabilität zu unsicher und beschließe, Schritt für Schritt vorzugehen und mir dabei unter allen Umständen meiner Situation bewußt zu bleiben. - Nach kurzem Anpeilen der Verandatüre verschiebt sich mein Standort blitzartig um die zwei Meter bis zum Ausgang. Dann schaue ich intensiv auf die Rasenfläche und stehe kaum eine Sekunde später im Garten. Als nächstes blicke ich auf einen Ort draußen auf dem Feld in der Nähe des Baches. Auch dieser 'Sprung' gelingt. Und dann versuche ich einen bis zu den Hochhäusern auf der anderen Seite - aber da dringt das lauter gewordene Kindergeschrei bis zu mir durch und zwingt mich wieder zurück ins Bett. Dennoch bin ich zufrieden mit dem Erreichten, ohne deshalb die Versuchsreihe abzubrechen.

Ein paar Minuten später gelingt es mir von neuem, aus dem schlafenden Körper auszutreten und in den Garten hinauszugehen ...


1. Dezember 1971
Beim Übergang vom wachen in den schlafenden Zustand des physischen Körpers habe ich die deutlich wahrnehmbare Empfindung, mich mit einem Zweitkörper abzulösen. Dann falle ich jedoch wieder in einen 'halbwachen' Zustand zurück, d.h., ich spüre den im Bett liegenden Körper stärker. Dieses Hin- und Herschwanken zwischen 'Ausleibigkeit' und 'Innerkörperlichkeit' dauert eine ganze Weile, weshalb ich genügend Muße habe, in Ruhe über den Wechsel nachzudenken und ihn zu beobachten. Es scheint mir nun selbstverständlich und ganz natürlich, daß dieses Phänomen beim Einschlafen erlebt werden kann, wenn das Ich sich Mühe gibt, nicht selbst einzuschlafen.

Die Ablösung geschieht jeweils sanft und lautlos - ohne irgendwelche Begleitumstände. Nachdem ich mich vollständig abgelöst habe, gerate ich ziemlich rasch in eine mir völlig fremde Umgebung. Der Übergang geschieht derart schnell, daß ich in einen Zustand höchster Verwirrung gerate. Ich kann die Realitätsebenen nicht mehr voneinander unterscheiden - was ist nun Alltag und was nicht? Diese Unsicherheit bedroht die Stabilität und Kontinuität meines Ichs, und es ist sehr anstrengend, bewußt zu bleiben, statt dem Impuls nachzugeben, unbewußt zu werden. Endlich gelingt es mir, die Krise zu überwinden und die Ebenen auseinanderzuhalten, aber erst, als ich meinen außerkörperlichen Zustand als solchen akzeptiere und keine Skrupel mehr habe, in einem Erfahrungsbereich bewußtseinskontinuierlich zu bleiben, der doch 'eigentlich' als Traumzustand gilt und in dem es gewissermaßen verboten ist, 'Bescheid zu wissen'.


10. Juli 1972
Ich spüre genau, wie ich mich sanft vom Körper ablöse, ihn schlafend zurücklasse und im Zweitkörper durch die Fensterscheibe hindurch in den Garten hinausgehe. Dann wende ich mich nach links, werde aber nach ein paar Schritten unachtsam und verliere die Kontinuität des Ich-Bewußtseins. Gleichzeitig wird die gewohnte Umgebung durch eine fremde überblendet. Je mehr mein Bewußtsein schwindet, desto stärker tritt das Neue in Erscheinung. - Nachdem ich mich aber ein bißchen in der neuen Welt umgesehen und mich mit ihren Dingen vertraut gemacht habe, werde ich mir wieder meines Zustandes bewußt. Sogleich beginne ich über den Zusammenhang mit meiner psychischen Problematik nachzudenken, halte mich aber mit dem Deuten zurück und bin vor allem gewillt, das nun folgende Geschehen als das zu akzeptieren, was es ist, nämlich alltagsfern ...


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