Sexualmagie und Dimensionswechsel
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18.9.1978

Werner Zurfluh
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Teil 3

Fortsetzung der Erfahrung vom 18. September 1978
Das wütende Gestikulieren will kein Ende nehmen. Plötzlich schallt eine fremde Stimme laut, völlig emotionslos und sachlich aus meinem Munde: (ich übersetze)
"Wer ist da im Saale, der seine KA-BK Fähigkeiten nicht schon schamlos ausgenutzt hätte zu sexuellen Vergnügungen verbotener Art, zu geilem Voyeurismus, zur banalen Befriedigung von irgendwelchen Machtgelüsten und zur Gewinnung von Vorteilen?!"

Es wird schnell still im Saal. Alle scheinen betroffen. Damit erweist sich die Tatsache, daß ich ein "Verräter an der Sache" sein soll als etwas, das ganz anders gesehen werden muß - jedenfalls nicht einfach so verurteilt werden kann.

Aber niemand hier - mich einbeschlossen - kann erkennen, was "mein Verrat" für Auswirkungen haben wird. Ich selber komme mir etwas komisch vor, denn das alles erinnert mich an Judas, der für 30 Silberlinge seinen Herrn verriet. Nun - im Gegensatz zu Judas will ich nicht daran zweifeln, daß ich tatsächlich einen Verrat begehen werde, aber mir scheint die ganze Sache doch ziemlich problematisch. Jedenfalls glaube ich ziemlich bestimmt zu wissen, daß es kein "Judasverrat" sein wird. Ich weiß aber auch, daß mein Verrat als ebenso schwerwiegend aufgefaßt werden könnte wie der von Judas - was nämlich die Auswirkungen betrifft. Und dieses Wissen beruhigt mich keineswegs, denn eine solche Verantwortung übersteigt doch etwas - banal gesagt - den momentanen Rahmen meiner Verantwortlichkeit.

Während des ganzen medialen Sprechens bleibt eine gewissen Skepsis bestehen, denn mir behagt vor allem die Art und Weise nicht, wie die Kommunikation stattfindet. Es ist das deutliche und bestimmende "Von-oben-Herab", das stört. Irgendetwas ist faul an der Sache. Das heißt keineswegs, daß die Realität der "Seelenreisenden" irgendwo im fernen Raum zu bezweifeln wäre. Es gibt sie, aber ich bezweifle die Richtigkeit ihres Vorgehens. Nun kann ich - aufgrund meiner Kenntnisse, die zu gering sind - nicht sagen, wo der Fehler liegt. Vielleicht werde ich es später einmal sagen können, aber es ist noch ein weiter Weg - und bis dann müssen noch wesentlich mehr Erfahrungen geschehen. Ich bin jedoch bereit, die damit verbundenen Risiken auf mich zu nehmen.

Dann perlen noch weitere Worte aus meinem Mund. Diese verursachen einiges Murmeln im Saal und sind fast noch umwerfender für die Zuhörer als das vorhin Erwähnte. Irgendeiner der älteren Seelenreisenden sagt, daß ein ungemein wichtiger Auftrag zu erledigen sei. Für dessen Erledigung seien drei Leute ausgewählt worden. Nun liege die Zukunft in deren Händen - nicht zuletzt auch die der Körperablösung (KA) und der Bewußtseinskontinuität (BK). Anschließend werden die Namen dieser drei Leute durchgegeben. Der eine von diesen drei ist der meine.

Die Aufregung, die nun entsteht, übertrifft bei weitem alles Vorhergehende. Rufe werden laut, böse Stimmen erschallen! Aber nun donnert einer der ältesten aus meinem Munde - währendem ich ketzerisch erkenntniskritische Überlegungen mache und mich vor allem frage, inwieweit ich da selber denen etwas vorspiele, ohne daß sie es merken. Das kann nur ich mich selber fragen, denn meine Bewußtheit ist und bleibt intakt, trotz der Tatsache, daß irgendwelche Leute durch meinen Mund sprechen. Der Seelenreisende gibt - obwohl er meine Gedanken mitbekommen haben muß - klipp und klar die Antwort: "Werner Zurfluh gehört zu den drei Leuten und niemand wird daran etwas ändern können!"

Damit ist das Gespräch bzw. die Übermittlung zu Ende. Wir sollen starten, heißt es zum Schluß. Alle müssen mitkommen - zumindest so weit, wie sie dazu in der Lage sind.

Beim Hinausgehen begegnet mir ein halb betrunkener, leicht gekleideter Mann, der eben den Saal betritt. Es macht den Eindruck, als sei er der Anführer dieser Leute und ziemlich machtbesessen. Allem Anschein nach gehört er zu jenen, die ihre KA-BK-Fähigkeiten skrupellos und egoistisch einsetzen. Als erstes versucht er, mit dem "Alten Seelenreisenden", der eben die letzten Worte sagte, zu hadern, denn das Gesagte paßt ihm nicht ins Konzept. Doch da donnert der Alte völlig überraschend durch meinen Mund:
"Sei still, du bist nichts als ein alter Nazi - und zwar einer, der es klug verstanden hat, diese Tatsache zu verbergen!"
Durch die niederschmetternde Eröffnung büßt der Mann viel von seiner Autorität ein und kann vor allem die anstehende Sache nicht mehr aufhalten.

Zunächst bleiben alle etwas verblüfft sitzen, so daß es mir gelingt, als einer der ersten hinausgehen. Dadurch gerate ich kurz aus dem Blickfeld der Anwesenden. Diese Zeit genügt, um mich unsichtbar zu machen. Dies geschieht ganz automatisch und am ehesten deswegen, weil ich irgendwie der Sache nicht traue. Aufgrund der unsicheren Lage dürfte es klüger sein, für einen Moment aus dem Gesichtsfeld der anderen zu verschwinden. Die Verwandlung zur Unsichtbarkeit geschieht durch Gestaltänderung in ein "Energiefeld". Dabei bleiben merkwürdigerweise die Unterschenkel und Füsse - wenigstens für mich - sichtbar. Es sieht dann so aus, als würde ich in Kugelgestalt auf ganz kurzen Stelzen in einem Blumenbeet hocken.

Meine Unsichtbarkeit verhindert einerseits, daß die Leute das Gefühl haben, sich um mich kümmern zu müssen. Sie können ungestört ihren eigenen Angelegenheiten nachgehen. Andererseits gelingt es mir als Unsichtbaren, kritische Distanz gegenüber der etwas aufgebrachten Allgemeinheit zu wahren, ohne diese aus den Augen zu verlieren. Meine Gegenwart hatte doch ziemlich für Unruhe gesorgt, denn nur schon die geltende Auffassung, daß es eines 'besonderen Wissens' bedürfe, um an diesen Ort zu gelangen, geriet durch mich 'sichtbar' ins Wanken.

Die anderen - es sind etwa 200 -, die nach und nach aus dem Pavillon kommen, verwandeln sich in verschiedenfarbige Energiekugeln und fliegen in einer langen Viererkolonne weg. Niemand bemerkt, daß ich verschwunden bin. Es ist erstaunlich, daß von mir intuitiv eine Technik benutzt werden konnte, die andere nicht anwenden, weil sie diese wahrscheinlich nicht kennen. Sie scheinen nicht einmal zu vermuten, daß der "Außenseiter" um sie weiß. Ich bin für sie unsichtbar und weder aufzuspüren noch zu erfühlen. Die Kugelgestalten fliegen durch mich wie durch einen lichten und dem Auge total entzogenen Nebel hindurch, wobei der "Wind" der einzelnen Wesen etwas zu spüren ist.

Um keine Aufmerksamkeit zu erregen, mache ich mich erst wieder nach einem seitlichen Wegfliegen von 10-20 Metern als "dichte", pastellfarbene, flimmernde Energiekugel sichtbar. Unterschenkel und Füsse sind jetzt nicht mehr "vorstehend". Mein Sehvermögen ist kugelförmig, aber ich achte nicht extra darauf, denn es ist selbstverständlich und ganz natürlich. Es besteht kein Grund, die "physiologischen" Eigenschaften des Vehikels zu prüfen, in welchem ich mich gerade befinde. Außerdem bleibt mir dafür keine Zeit, denn ich muß der Kolonne nachfliegen und unauffällig alle überholen, um an die Spitze zu gelangen. Vorn läßt sich nämlich das Gelände besser überblicken.

Bald einmal geht es einen ziemlich steil ansteigenden, bewaldeten Hang hoch. Den anderen "Kugeln", die allesamt wie ich selber bewußtseinskontinuierlich sind, bereitet das Hochfliegen wegen einer zunehmenden Kälte immer größere Schwierigkeiten. Mir ist unerklärlich, woher dieser Frost kommt. Vor allem aber erstaunt, daß es kühl und immer kühler wird. Die Kugelgestalt wird von der Kälte einfach durchdrungen. Und je höher wir kommen, desto frostiger wird es. Schließlich schneit es sogar, wir müssen durch einen Wirbel von Schneeflocken fliegen. Dann kommen sogar eisige Winde auf. Sie machen auch mir schwer zu schaffen.
"Woher kommen denn die?"

Kalter Wind entreißt dem Lebendigen die innere Wärme und läßt es schließlich gefrieren. Erstarrung kann aber lebensbedrohend und sogar tödlich sein, denn ein eisiger Sturm bricht dickste Äste und knickt mächtigste Bäume.

Die "Kugelleute" meckern und klagen. Bald sind alle so mit sich selber beschäftigt, daß niemand mehr auf mich achtet. Sie beklagen sich vor allem darüber, daß sie bei vollster Kontinuität des Ich-Bewußtseins solche Dinge erleben müssen. Dabei wäre es doch möglich, sagen sie sich, dank der erhalten gebliebenen Bewußtheit in diesem Zustand etliche Annehmlichkeiten zu erfahren. "Was soll das alles?" fragen sie lauthals. "Weshalb und wozu diese Unannehmlichkeiten?"

Ich denke mir meine Sache: "Typisch! Jetzt, wo es wirklich darum geht, etwas im KA-BK-Zustand zu leisten, wollen sie 'klemmen'. Das ist ihnen zu anstrengend!"

Ich ertrage klaglos die Kälte und werde immer nachdenklicher.
"Dieser Frost ist nicht von dieser Welt. Er hat mit keiner mir bekannten Welt zu tun. Da steckt etwas Grauenhaftes und wirklich Problematisches dahinter, das diesem Universum schwer zu schaffen machen könnte. Etwas Furchtbares und total Ungewöhnliches verbirgt sich hinter der Kälte, etwas Ganz-Anderes."
Dann spüre ich, daß dieses Phänomen etwas mit der angetönten Aufgabe zu tun hat, die mir und den beiden Mitstreitern aufgetragen wurde. Die Lösung des Problems dürfte - das erkenne ich nun eindeutig - alles andere als leicht sein.

Wie wir ein breites Tal hinauffliegen, das zu einem Paß führt, sehe ich etwas, das mich noch wesentlich mehr beunruhigt als die Kälte. Der über den Paß brausende kalte Wind hat - was noch niemals geschehen ist - die Bäume über mehrere Quadratkilometer geknickt und die Flächen beinahe blankgefegt. Die Tiere sind in schrecklicher Not. Zwei Gemsen und - ! - eine Giraffe ist zu sehen. Ich weiß ganz genau, daß die Giraffe eigentlich nicht in diese gräßlich verwüstete Landschaft gehört und auf unerklärliche Weise von Afrika hierher verfrachtet wurde. Dieses Phänomen trägt auch nicht gerade zur Beruhigung meiner immer tiefer werdenden Unruhe bei.

Die Jahrtausendwende rückt näher und immer mehr Menschen bezweifeln den ausschließlichen Wirklichkeitsanspruch der Alltagswelt. Solange der Alltag nicht in Zweifel gezogen wurde und die Augen darauf eingestellt blieben, standen Mann und Frau auf der gesicherten Seite der Planke und auf vertrautem Boden. Die Regeln waren bekannt, alles lief wie gewohnt, der Arbeitsplatz war gesichert, die Kriminalität unter Kontrolle und die Umwelt in Ordnung. Doch jetzt bricht alles mehr oder weniger zusammen, das Tonal - wie Don Juan es nennt (Anm.4) - schrumpft zusehends. Es bläst einem ein ziemlich heftiger Wind "von der anderen Seite" um die Ohren.

Es ist, als ob viele den Rand der Wirklichkeit erblickt und über ihn hinausgesehen hätten (evtl. haben sie ein UFO gesichtet oder sind sogar enführt worden). Nun ist es ihnen unmöglich, zur gewohnten Tagesordnung und damit in die mechanistische Welt der Kausalität und Linearität zurückzukehren. Die alte Welt ist ihnen zwar vertraut, aber es geht ihr jede Tiefe, Schönheit und Bedeutung ab, die sie "auf der anderen Seite" haben aufdämmern sehen. C.G. Jung hatte im Zusammenhang mit den UFOs vermutet, daß sich in der kollektiven Struktur der Realität eine Verschiebung abzeichnet. Diese Verschiebung ist voll im Gange!

Jene, die das Schwergewicht auf den Alltag legen und das Wundersame nur aus Zeitschriften, Büchern, TV und Internet kennen, seien daran erinnert, daß Don Juan «die Wirklichkeitsgewichte gerade anders herum» verteilt. «Die eigentliche Tiefe der Welt, ihre unendlich überwältigende Wirklichkeit ist gerade das Ungeheure, das Nagual. Das Tonal aber, die ordinäre Welt, ist nicht viel mehr als ein Schild, an dem wir unser Leben lang bauen, um die Überflutungen durch das Ungeheure abzuwehren. Auf diese Weise gehen wir der eigentlich menschlichen Möglichkeit verlustig. Statt von Augenblick zu Augenblick in unvorstellbar großartige Welten hineingeschleudert zu werden, bauen wir uns durch das gewohnte Tun und Treiben in einen ordinären Alltag ein, in dem die Schwingen des uns von Ursprung her möglichen Weltenfluges verkümmern» (Gehrts 1992:90)

Der Schild des Alltags aber ist mittlerweile für alle definitiv durchlöchert und damit kleiner geworden. Der Alltag (das Tonal) darf aber, um den Aufbruch in die Anderwelt (das Nagual) vozubereiten, nicht vollends aufgelöst und weggesprengt werden. Es geht vielmehr darum, das Tonal zu reinigen und seiner scheinhaften Totalität zu entkleiden - und auf seinen eigentlichen, den ihm gebührenden Bereich zu beschränken: Es soll dem Ich eine Behausung bieten, aber nicht zum Kerker zu werden für die mit ihm verbundenen, unbehausten Wesensteile. (Hierzu vgl. Gehrts 1992:91)

«Gelingt es nun dem Zauberlehrling, das Tonal in dem notwendigen Maße zum Schrumpfen zu bringen und in das Nagual hinüberzuwechseln, so erlebt er dies als einen gewaltigen Wind. Über ihn bricht jener Sturm herein, der das Wesen der Welt ausmacht und der das Ungeheure erfüllt» (Gehrts 1992:91-92).

Dieser Wind scheint nicht derselbe zu sein wie der kalte Sturmwind, der die Verwüstung des Märchenwaldes bewirkt. Der gewaltige Wind des Nagual wird nämlich kaum einen Teil seiner selbst, nämlich den Märchenwald, total vernichten - es sei denn, der Wald wäre von Menschenhand aufgeforstet und bestünde vor allem aus 'diesseitigen' Vorstellungsteilen. Für mich wäre die Zerstörung in diesem Fall sogar eine eher beruhigende 'Lösung'. Sie würde dann nämlich eine durchaus notwendige Säuberung bedeuten, welche die naiven, liebreizenden und gefälligen Anschauungen in bezug auf das luzide Träumen und die außerkörperliche Erfahrung hinwegfegt. Dazu gehört z.B. die Auffassung, die Geschehnisse und die Wesen der Anderwelt seien rein subjektiv. Oder die Meinung, Luzidität ließe sich vor allem dazu benutzten, Schönes und Erhabenes zu erleben.

Nun ist der 'umgelegte' Märchenwald aber ein urtümlicher Dschungel, nicht von Menschenhand angelegt und bewirtschaftet. Und der Sturmwind selbst ist Ausdruck eines Ungeheuerlichen, welches das Ungeheuere des Nagual nochmals übertrifft - soweit ich das überhaupt zu beurteilen vermag. Der 'Nagualwind' hat die Macht, alle lebenden Wesen dieser Erde dahinzufegen. Doch der Windsturm, der riesige Teile des Märchenwaldes zerschlägt, entstammt einer Sphäre, die sogar das Leben des Nagual zugrunde richten könnte.

Es ist angesichts der prekären Lage nicht mehr angebracht, Rücksicht auf die Kolonne zu nehmen, denn deren Mitglieder haben arge Not mit dem starken Wind. Also verwende ich eine Flugtechnik, von der niemand sonst auch nur die geringste Ahnung zu haben scheint. Hierbei geht es um die Nutzung von geringfügigsten Unterschieden der Windströmung. Der Flug geht elastisch den Grenzflächen entlang, wodurch der Widerstand abnimmt. Es geht wesentlich schneller vorwärts, obwohl statt einer gerade Linie ein merkwürdig anmutender Kurs geflogen wird. Es macht den Anschein, als würde ich vom Winde hin- und hergeworfen, als wäre jede Kontrolle verlorengegangen. Das ist aber keineswegs der Fall - im Gegenteil.

Durch Anwendung dieser Technik wird die Fluggeschwindigkeit derart hoch, daß die Kolonne mich bald "aus den Augen verliert". Das kann mir nur recht sein, auch wenn dies bedeutet, daß der Auftrag, die anderen beiden Leute des Dreiergrüppchen zu suchen, allein erledigt werden muß.

Dank der Ausnutzung der Turbulenzen und Strömungsdifferenzen wird das Tempo enorm beschleunigt. Beim Einflug in den noch intakten Wald auf der linken Talseite ist es deshalb notwendig, den Flug stark zu verlangsamen und reaktionsschnell zu steuern. Sonst wäre ich auf einen der märchenhaft anmutenden Bäume des uralten Waldes geprallt, was bestimmt eine schwere Beeinträchtigung meiner BK zur Folge gehabt hätte.

Beim Anblick der "Märchenbäume" komme ich noch mehr ins Grübeln. Es ist kein "gewöhnlicher" Wald, der hier bereits zum Teil umgeworfen wurde, sondern ein uralter Märchenwald, dessen Zerstörung mehr als eine Bagatelle ist. Hier handelt es sich um ein Ereignis, das nicht nur mich betrifft, sondern auch das Kollektiv.

Instinktiv fliege ich auf den noch immer unversehrten Wald zu, weil von dort die "piepsende Stimme" eines anderen Mitgliedes der Dreiergruppe zu vernehmen ist. Ich habe mich nicht getäuscht! Da hüpft auf einem dicken Ast ein kleiner, bunter Singvogel hin und her. Er versucht, den drohend zuschnappenden Schnäbeln zweier Vögel auszuweichen. Es sind Elstern oder Raben. Das andere Mitglied der Dreiergruppe hat also eine Tiergestalt angenommen!
"Das fängt ja gut an", denke ich, denn da scheinen von Anfang an Kräfte im Spiel zu sein, welche das Zusammentreffen unserer Gruppe verhindern wollen.

Im schwarz-weissen Federkleid der Elster (und der Nebelkrähe) ist das Widerspiel kosmischer, moralischer und metaphysischer Gewalten "scharf getrennt" und gleichzeitig "fest gefugt". Positiv gesehen, sind hier Gegensätze wie z.B. Hell und Dunkel, Tag und Nacht, Leben und Tod zu einer ausgeglichene Polarität des Lebens vereint. Der schwarz-weiß gefiederte Vogel ermahnt somit, die unserm Wesen einwohnenden Licht- und Dunkeltriebe maßbesonnen auszusöhnen (vgl. Wilhelm Fraenger Hieronymus Bosch - Das 1000jährige Reich S.200). Hier wird allerdings der bunte Vogel, dessen Größe der eines Zaunkönigs entspricht, von keineswegs auf Aussöhnung bedachten Elstern oder bösartigen Raben bedrängt.

Auf den kleine Singvogel trifft vielleicht folgendes zu: «So unwahrscheinlich es anmuten mag, wird der Zaunkönig `König der Vögel' genannt; dieser Titel geht auf eine alte Geschichte zurück, in der ein Adler und ein Zaunkönig in die Lüfte hinauffliegen, um festzustellen, wer von ihnen höher gelangen könne. Bald fand sich der Adler allein in großer Höhe und fing gerade an, sich selbst zu loben - als der Zaunkönig, der auf dem Rücken des Adlers saß, den Preis für sich beanspruchte. Eine tiefere Begründung, liegt darin, daß der Zaunkönig als der altertümliche, heilige Vogel der Druiden galt. ... Der Zaunkönig war angeblich der Vogel, welcher den Schlafenden Lord - ob Kronos, Bran oder Arthus - verkörperte, bzw. der Vogel, welcher diesen zu gegebener Zeit wecken würde» (Matthews 1994:184)

Nun könnte vermutet werden, daß die Ursache des Angriffs im Herzen des Kleinen gründet. Falls nämlich im seinem Innern die Gegensätze in tödlichem Widerstreit stehen, werden die anderen Vögel sich 'bösartig' verhalten. Aber es ist nicht der kleine Vogel, der den Angriff provoziert. Ursache der Attacke ist ein Umfeld, das weder aussöhnend und erinnerungsfördernd wirkt. Wenn außerdem bedacht wird, daß der kleine Vogel gemäß keltisch-druidischer Tradition mit dem Wecken und Aufwachen zu tun hat, ist der Verdacht nicht von der Hand zu weisen, daß gerade das Wissen um diese Zusammenhänge vernichtet werden sollte. Schließlich ist der `Zaunkönig' eine Gestalt, die am 17.8.1978 audrücklich als zweites Mitglied der ("KA-BK") Dreiergruppe in Erscheinung trat. Mit Leichtigkeit ließe sich das alles subjektstufig betrachten, doch gibt das auf diese Weise gewonnene Verständnis nur eine trügerische Sicherheit.

Die beiden räuberischen Vögel flattern bei meinem unerwarteten Herankommen schnellstens weg. Die kleine Piepmatz hingegen hüpft vor Freude auf dem Ast auf und ab. Sie weiß genau, daß wir ab sofort zu zweit sind und später noch auf ein drittes Mitglied stoßen werden.
"Wer mag dieser kleine, extrem lebendige Kerl, dessen Intelligenz und dessen BK außer Zweifel stehen, sein? Etwa ein Kind? Hier habe ich es mit einem durch und durch ebenbürtigen Wesen zu tun!"
Kaum kann ich es erwarten, ihn oder sie in menschlicher Gestalt zu sehen. Wir fliegen zusammen weg und landen später irgendwo ...

Der Übergang ist abrupt, denn nun knipse ich den TV-Apparat aus - allerdings erst, nachdem ausdrücklich vermerkt wurde, daß dieser Film in nächster Zeit fortgesetzt wird. Etwas konsterniert mich dieses schnelle Hinausbugsieren schon. Meine Eltern sind auch da, haben aber nicht die geringste Ahnung von dem, was ich erlebt habe. Sie meinen, es sei ein Mickey-Mouse Film gewesen, dessen Fortsetzung nächstens gesendet wird.

Ich selber hocke starr und still in mich gekehrt vor dem TV, denn mir ist die plötzliche Dimensionsverschiebung brutal bewußt. Dieses Wissen kann mich - auch wenn es erkenntniskritisch sorgfältig bedacht wird - nicht beruhigen, denn die Fakten sind schwerwiegend. Wer ist der kleine Vogel, wer der Dritte im Bunde? Welche Gefahren drohen? Was ist zu tun? Schwerwiegende und kaum lösbar scheinende Probleme, die weder verdrängt noch weggeschoben werden können. In Gedanken versunken erwache ich langsam und ohne die geringste Änderung der Bewußtheit im physischen Körper, stehe auf, gehe auf die Toilette und notiere das Geschehen. Um 01:55 gehe ich endlich wieder zu Bett!

Bei einem derart eindrücklichen Erlebnis würde ein ganz direkter Übergang in den Wachzustand (des Alltags) das Gedächtnis unter Umständen stark beeinträchtigen. Zum Glück ist hier der Schock durch die "Zwischenstation" etwas abgeschwächt. Deshalb gelang es, die Zusammenhänge, vor allem aber die ziemlich komplexen und ineinanderverschachtelten Gefühle und Gedanken zu erinnern und zu notieren. Später im Verlauf des Tages wurde dann aufgrund der Notizen das Protokoll geschrieben.

Fatalerweise kann bei einem übergangslosen Ebenenwechsel ein "falsches Aufwachen" ("falsches Erwachen") stattfinden. Die Bezeichnung ist etwas mißverständlich, denn das Ich ist bei der Rückkehr bereits bzw. immer noch hellwach. Bloß der physische Körper ist es nicht, weil er nach wie vor schläft.

Etliche Erfahrungen sind mir wegen eines "falsches Aufwachens" regelrecht verlorengegangen. Dabei war ich stets fest davon überzeugt, daß das Ende des außerkörperlichen Zustandes erreicht und der "Wiedereintritt" in den im Bett liegenden physischen Körper vollzogen sei. Später mußte ich allerdings feststellen, daß es eine perfide Täuschung gewesen war. Gerade wegen der vollumfänglich vorhandenen Bewußtheit konnte es relativ leicht geschehen, daß die Ereignisebenen verwechselt wurden. Das sorgfältige und mühsame Notieren erwies sich dann - sehr zu meinem Ärger - beim "tatsächlichen" Erwachen im physischen Körper als total vergeblich. Auf dem beschriebenen Blatt fand sich nicht der geringste Hauch einer Notiz!

Sozusagen um die Angelegenheit noch zu erschweren, kam es hin und wieder zu einem mehrstufigen bzw. gestaffelten "falschen Aufwachen". Ich gewöhnte mir zwar an, die Umgebung genau zu untersuchen und zwang mich bisweilen sogar, physisch aufzustehen. Aber trotz aller Vorsichtsmaßnahmen kam es immer wieder zu Täuschungen. Hier beim Erlebnis vom 17.8.1978 nötigte ich mich regelrecht dazu, auf die Toilette zu gehen. Unterwegs ließen sich eine jede Menge Kontrollen durchführen (z.B. genaues, vergleichendes Beobachten der Umgebung, des Körpergefühls, der `Gesetzmäßigkeiten' (Fliegen und Durchdringung von Gegenständen nicht möglich)). Schließlich glaubte ich, mit der Einschätzung, auf der physisch-materiellen Ebene zu sein, richtig zu liegen - und es wagen zu können, die Erfahrung zu notieren.

Die Rückkehr aus der "Anderwelt" kann mit recht vielen Täuschungen verbunden sein und zudem sehr abrupt geschehen, wie dies in einem chinesischen Volksmärchen erzählt wird: Nachdem der Kunsthandwerker eine Aufgabe in der `Unterwelt' erledigt hat, wird er «wieder auf den Rückweg geleitet. Man gelangt an einen steilen Absturz, die Begleiter geben vor, ihrem Schutzbefohlenen etwas zeigen zu wollen, stoßen ihn aber `von der Steilwand in den Abgrund. Zu Tode erschrocken riß der Flötenschnitzer die Augen auf und fand sich nirgendwo anders als auf seiner Lagerstatt wieder'» (Gehrts 1992:110).

Während die Rückkehr meist problemlos gelingt - einmal abgesehen von einer kurzen Zeit der Verwirrung, einem mehr oder weniger großen Gedächtnisverlust und anderen Unannehmlichkeiten, ist es oft wesentlich schwieriger, überhaupt hinüberzugelangen. Denn «ohne Mühe ist die Autre Monde (Anderwelt) nicht zu betreten ... zum einen ist sie für die Augen der Menschen, die sich durch die Wirklichkeit des Scheins blenden lassen, unsichtbar; zum anderen haben die Menschen ... nicht die Gabe zu sehen, ohne selbst gesehen zu werden; - und schließlich ist der Weg, der in die Autre Monde führt, deshalb nicht ohne Schwierigkeit zu begehen, weil auf ihm ebenso viele Gefahren, ebenso viele Fallen lauern wie auf der ,Brücke' der Schamanen» (Markale 1989:249).


Anmerkungen

Anm.4: Vgl. die Bücher von Carlos Castaneda.
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Literaturverzeichnis

Gehrts, Heino. Von der Wirklickeit der Märchen. Regensburg: Röth, 1992.
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Matthews, John und Caitlin Lexikon der keltischen Mythologie. München: Heyne (Sachbuch Nr. 19/280), 1994. (Herausgegeben, übersetzt und bearbeitet von Michael Görden und Hans Christian Meiser unter Mitarbeit von Chris Burton - Titel der Originalausgabe: BRITISH & IRISH MYTHOLOGY. Die Originalausgabe erschien 1988 beim Verlag The Aquarian Press, London.)
Christoph Roos hat mich auf dieses Buch aufmerksam gemacht.
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Markale, Jean. Die Druiden - Gesellschaft und Götter der Kelten. (Le Drudisme - Traditions et Dieux des Celtes) Aus dem Französischen übertragen von Béatrice Bludeau und Wieland Grommes. München: Goldmann Nr. 11474, 1989
Christoph Roos hat mich auf dieses Buch aufmerksam gemacht.
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