Quellen der Nacht
2. Kapitel / Teil 2
Werner Zurfluh
(1983) 3. erw. Aufl. 1996 im HTML-Format
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  • Unwissenheit ist auch ein erkenntnistheoretisches Problem
  • das Weltbild als Grundlage der persönlichen Anschauung und die bestimmende Rolle von Paradigmen
  • Anm.2 Exkurs: normale Wissenschaft und wissenschaftliche Revolution, Paradigma und Paradigmenwechsel
  • Offenheit dem Zufall gegenüber, die Weigerung, sich fremdbestimmen zu lassen, und der Erklärungsverzicht
  • die Berücksichtigung subjektiver Erfahrungen
  • Anm.10 Exkurs: die funktionelle Asymmetrie der rechten und linken Hälfte des Gehirns
  • Anm.11 Exkurs: die schulischen Anforderungen und der Umgang mit Traumerfahrungen bei Kindern
  • Anm.12 Exkurs: die drei Grade des Wissens, Subjekt und Objekt und die funktionelle Asymmetrie des Gehirns
  • Anm.13 Exkurs: Statistik und persönliches Erleben
  • Elitarismus und Erfahrungsgewißheit

2.1.2. Weltbild und Paradigma

Während meines Studiums an der Universität und am C.G. Jung-Institut in Zürich habe ich niemals etwas von einer Außerkörperlichkeit oder einem luziden Traum gehört. Meine Versuche, von diesbezüglichen Erfahrungen zu erzählen, stießen auf taube Ohren. Das Konzept eines sich selbst und seines Zustandes vollbewußten Ichs bei schlafendem Körper schien an keiner Stelle in das anerkannte Weltbild oder gar in ein offiziell gebilligtes Paradigma hineinzupassen. Ich fragte mich nach dem Grund dieses Sachverhaltes und beschäftigte mich deshalb vermehrt mit Erkenntnistheorie, woraus ich folgendes lernte: (
Inhalt)

Die Mittel, die man benutzt, um Kenntnisse zu erwerben, werden innerhalb eines bestimmten Rahmens entwickelt, der als eine Art Grundidee vorgegeben ist. Diesen Rahmen bezeichnet man als Weltbild. Nun beruht jedes Weltbild auf einer Reihe von sehr erfahrungsfernen Voraussetzungen, die weder ausdrücklich aufgewiesen noch in Frage gestellt werden. Diese als selbstverständlich aufgefaßten Grundlagen der persönlichen Anschauung werden einfach verwendet und als Bestandteil des gesunden Menschenverstandes betrachtet. Sie bilden eine Art Grundgefühl, das als emotionaler Hintergrund die eigene und die allgemein verbindliche Lebensweise und Lebensauffassung bestimmt. (Anm.1) Dieser Hintergrund gilt als unerschütterlich, unveränderbar und ewig. Aus ihm heraus werden Paradigmen geboren, die nicht zu ihm in Widerspruch stehen. (Inhalt)

Paradigmen sind modellhafte, verbindliche (theoretische) Anschauungsmuster, denen man sich so ganz beiläufig und wie selbstverständlich verschrieben hat. Sie bestimmen nicht nur die Art der Fragestellung, sondern auch die Arbeits- und Forschungsrichtung und die erlaubten und verwendeten Methoden. Für eine gewisse Zeit umgrenzen sie den allgemein anerkannten wissenschaftlichen Leistungsrahmen, innerhalb dessen Probleme aufgeworfen und Lösungen geliefert werden dürfen. Setzungen dieser Art haben die Tendenz, sich zu verabsolutieren und prinzipiell keine Beobachtungen mehr zuzulassen, die nicht in das paradigmatische Konzept hineinpassen.

Auf die bestimmende Rolle der Paradigmen und die Problematik eines Paradigmenwechsels hat Thomas S. Kuhn schon 1963 hingewiesen. - Z.B. gestatten es die anerkannten psychologischen Paradigmen nicht, die Aufmerksamkeit von der Deutung der Träume auf die Beobachtung und Schulung des Verhaltens des Ich während des Träumens zu verlagern und die damit zusammenhängenden erkenntnistheoretischen Fragen zu stellen. Außerdem lehnen sie strikt jede praktische und theoretische Relevanz der Beobachtung ab, daß man sein Ich-Bewußtsein vollständig auch während des Schlafzustandes des physischen Körpers beibehalten kann. Dieses Verbot ist tief im Weltbild verwurzelt. (Anm.2) (Inhalt)

Meines Erachtens ist es ungeschickt, den Erfahrungsbereich des Menschen einzugrenzen, auf den Alltag zu beschränken und mit irgendeinem Weltbild abzudecken. Dem Sicherheitsbedürfnis und dem Wunsch nach Berechenbarkeit des Unvorhersehbaren steht die Nichtvoraussagbarkeit der Wirkungen spiritueller Erlebnisse gegenüber. Persönliche Erfahrungen verändern das Verhalten und setzen damit jeder erzieherischen Planung, allen wirtschaftlichen Voraussagen und politischen Entscheidungen ihre Grenzen. Die Tore sollten für den Zufall offenbleiben. Doch die Tore bleiben geschlossen. (Anm.3) Und um jedem Zufall vorzubeugen, wird sogar der Rahmen der Grundlagenforschung enger gesteckt. Doch Vorhaben, die durch Zielvorstellungen und Plansoll bestimmt sind, werden dem Zufall gegenüber blind, weil wegen der Sachzwänge keine Zeit mehr übrigbleibt, dem scheinbar Nebensächlichen und Unpassenden nachzugehen. (Anm.4)

Es braucht eine innere Bereitschaft und Offenheit, Dinge als sinnvoll zu betrachten, die nicht in das vorgegebene Konzept hineinpassen. Alles Wissen, das sich durch die Beobachtung des Unerwarteten gewinnen ließe und nicht beachtet wird, bleibt draußen vor verschlossener Tür und wächst dort zu monströsen Formen heran. Wer das alte Weltbild auf der Suche nach dem Lebenssinn verlassen will, hat damit zu rechnen, daß vor der eigenen Türe furchterregende Dinge lauern. (Anm.5) (Inhalt)

Die Weigerung, sich sein Leben ausschließlich durch das momentan gerade modische Weltbild bestimmen und sich seine Erfahrungsmöglichkeiten vorschreiben zu lassen, ist Ausdruck der Umsicht eines Menschen, der genau weiß, daß sein Leben auf dieser Erde nur von beschränkter Dauer ist. Andererseits ergibt sich die Ablehnung und Relativierung einer bestimmten Weltanschauung auch aus der Bereitschaft zur Serendipity. Doch ausschlaggebend für die definitive Abkehr von einer nur auf das Materielle und den Alltag ausgerichteten Lebensweise wird letzten Endes immer die Gewißheit der außerkörperlichen Erfahrung sein. Dieses Erlebnis eröffnet einen bislang unbeachtet gebliebenen Zugang zu den Problemen des Alltags. (Inhalt)

Es ist wichtig, bei der Diskussion der durch die Außerkörperlichkeit gegebenen neuen Möglichkeiten zunächst darauf zu verzichten, die Tatsache der gefühlsmäßigen Gewißheit der Außerkörperlichkeit erklären zu wollen - einfach einmal staunen darüber, daß dem Ich der außerkörperliche Zustand zumindest während des Schlafzustandes seines physischen Körpers möglich ist. Das Geschehen vorbehaltlos annehmen, obwohl es vom Gewohnten abweicht und der Erwartung zuwiderläuft. Dieses Erlebnis ist nämlich wirklich etwas, was dem Weltbild des technischen Zeitalters widerspricht.

Wer den außerkörperlichen Seinszustand nur ein einziges Mal selbst erlebt hat, (Anm.6) ist überzeugt von der Tatsächlichkeit dieser Existenzmöglichkeit. Aus einem oder mehreren Erlebnissen darf man aber noch kein allgemeingültiges Begriffssystem ableiten wollen. (Anm.7) Sonst würde das Konzept der Außerkörperlichkeit nur wieder zu einem neuen Dogma erstarren und von neuem den Ausschluß unpassender Erlebnisteile erzwingen. Dogmatische Ansichten bleiben systemfremden Erfahrungsgewißheiten gegenüber blind. (Anm.8) (Inhalt)

Werden beim Umbau und der Neukonstruktion des Weltbildes die subjektiven Erfahrungen nicht mitberücksichtigt, muß dies irgendwie begründet werden. Dies geschieht durch die Forderung, wissenschaftliche Resultate müßten objektiv sein, weshalb der Subjektanteil nichts in ihnen zu suchen habe. Aber es gibt keine Theorie, die subjektunabhängig konzipiert worden ist oder ohne den Einfluß (subjektiver Störgrößen) experimentell geprüft werden kann. Dennoch tun viele immer noch so, als würden Vorstellungsvermögen und Erlebnisfähigkeitt (Anm.9) des Menschen beim Aufbau einer Wissenschaft völlig belanglos sein. Manchmal scheint es mir, als sei die Obiektivitätsforderung bloß ein schlecht getarnter Herrschaftsanspruch, der zu seiner Stabilisierung der Entmythologisierung, der statistischen Nivellierung und der Unterdrückung subjektiver Erfahrungen bedarf. Um den subiektiven Faktor nämlich in Grenzen halten zu können, muß der einzelne Mensch zu einem vollangepaßten gesellschaftlichen Wesen und zu einem namenlosen Massenpartikel erzogen werden. Mit gezielten Informationen kann man ihn daran hindern, zu sich selbst vorzustoßen. Dazu gehört auch der Zwang der schulischen und beruflichen Ausbildung, in deren Verlauf man sich Wissen zu erwerben hat, das sich einzig aus dem rationalen und materiellen Bereich rekrutiert und nur linkshirnig (Anm.10) und intellektuell ist. (Anm.11) Auf diese Weise wird der Weg zu den eigenen Erlebnisbereichen verbaut. Als Erwachsener ist es dann kaum mehr möglich, sich das Leben mittels persönlicher Erfahrungen zur Gewißheit werden zu lassen und existentielles Wissen zu gewinnen. (Anm.12) Erwachsene haben gelernt, das durch die Vernunft nicht Greifbare des individuellen Menschseins durch Eingliederung in ein Theoriegefüge zu objektivieren und statistisch einzuebnen. (Anm.13) (Inhalt)

Für die einen sind Eigenerfahrungen völlig bedeutungslos. Andere neigen dazu, sie aufzubauschen, denn gerade aus der unmittelbaren spirituellen Erfahrungsgewißheit erwächst oft ein Elitarismus und Dogmatismus besonderer Ausprägung. Er findet seinen Höhepunkt im Glauben an die Führerschaft und an das Gurutum, wobei jede Skepsis ausgeschlossen bleibt. Führer sind nun diejenigen, denen Geheimes offenbart wurde, wodurch sie sich als Subjekte weit über die dumpfe Masse des Durchschnitts herausgehoben fühlen und sich mit dem Glorienschein der Auserwähltheit umgeben. Jeder Zweifel wird im Keim erstickt, denn «die Massen ... sind nicht imstande, die Wahrheit aus dem Abgrund des Irrtums heraufzuholen. Darum sind Führer notwendig», die «den ganzen göttlichen Plan mit all seinen Zielen und Richtungen» sehen (Challoner 1976:280).

Durch die zwingende Ausschließlichkeit solcher Aussagen wird jede vernünftige Argumentation abgewehrt. Geduldet werden nur noch blinde Gefolgschaft und absoluter Gehorsam. Spätestens jetzt erinnere man sich daran, «daß wir mit unseren Ansprüchen etwas mehr haushalten» sollten (Duerr 1978:315). Zwar vermag jede Erfahrung aus der Ratlosigkeit der Sinnleere hinauszuführen, die Unwissenheit der eingeschränkten, eindimensionalen Lebensweise aufzubrechen und den nagenden Zweifel an der Wirklichkeit verstummen zu lassen. Aber keine Erfahrung darf den Anspruch auf alleingültige und alleinseligmachende Wahrheit erheben - der Grad ihrer Gewißheit, ihres geborgenheit- und sicherheitgebenden Gefühls mag noch so stark sein. Ohne Kritikvermögen und erkenntnistheoretische Reflexion wird Gewißheit bloß zu Voreingenommenheit und Sturheit, erstarrt zur Wandlungsunfähigkeit und fordert fern jeder Nächstenliebe die Erfüllung von Pflichten und Prüfungen, die aus bestimmten Zielvorstellungen heraus legitimiert werden.

Zu leicht vergißt man bei erschütternden, die ganze Person in ihrer Existenz zutiefst treffenden Erfahrungen, daß selbst Gefühle absoluter Gewißheit oder die Gewißheit denkerischer Notwendigkeiten keine Garantie dafür sind, in den Besitz der Wahrheit gekommen zu sein. Die Fahigkeit, der Ungewißheit trotz allem ihre Berechtigung zuzugestehen (Anm.14) und stets mit einem gehörigen Maß an Mißtrauen dem allzu Offensichtlichen entgegenzutreten, bleibt ein notwendiger Bestandteil zwischenmenschlicher Beziehungen und erleichtert das Gespräch erheblich. (Anm.15)

(Inhalt)


Anmerkungen

Anm 1: Grundlage für die Beschreibung des Wortes 'Weltbild' gaben die Ausführungen von Kanitscheider 1979:9-11.
Was die erfahrungsfernen Voraussetzungen betrifft, vgl. I Kön 8,27: «Siehe, selbst der Himmel und die Himmel fassen dich nicht, wieviel weniger dieses Haus, das ich dir gebaut habe.»
Anm.1 Ende - zurück zum Text
Anm 2: Franz von Kutschera schreibt zu Thomas S. Kuhn bzw. zur Frage von Paradigma und Paradigmenwechsel S.503ff:
«Kuhn hat ... anhand historischer Beispiele gezeigt, daß die übliche Vorstellung von der Entwicklung der Wissenschaften als einem kumulativen Prozeß der Vermehrung von Wissen durch Sammlung von Fakten und durch Formulierung immer exakterer und umfassenderer Theorien nicht haltbar ist. Perioden normaler Wissenschaft, auf die ein solches Modell zutrifft, werden vielmehr immer wieder von wissenschaftlichen Revolutionen unterbrochen, auf die es nicht anwendbar ist. Ein normales Stadium wissenschaftlicher Entwicklung ist nach Kuhn gekennzeichnet durch das Vorhandensein eines Paradigmas. Ein Paradigma umfaßt eine Theorie, Modellfälle ihrer erfolgreichen Anwendung, metaphysische Hintergrundannahmen über den Gegenstandsbereich der Theorie und methodologische Normen für Begründungen und experimentelle Untersuchungen. Hintergrundannahmen und Normen sind dabei, wie Kuhn betont, nicht explizit formuliert und die intendierten Anwendungen der Theorie sind nicht exakt abgegrenzt, sondern nur paradigmatisch bestimmt durch die Modellfälle erfolgreicher Anwendungen. ... Ein solches Paradigma definiert Methoden zur Lösung von Problemen, die sich in einigen wichtigen Fällen bewährt haben, und die normale Wissenschaft besteht darin, neue Probleme mithilfe dieser Methoden zu lösen, die Methoden zu verfeinern oder mithilfe neuer Spezialgesetze den Anwendungsbereich der Theorie zu vergrößern. Sie ist also, wie Kuhn sagt, eine Tätigkeit des puzzle solving, nicht jedoch eine Konfrontation der Theorie mit der Erfahrung, eine Prüfung ihrer Gültigkeit. In der normalen Wissenschaft wird die Theorie nicht als eine zu testende Hypothese angesehen, sondern als ein Instrument zur Lösung von Problemen. Sie ist nicht Gegenstand, sondern Grundlage der Untersuchungen. Für jedes Paradigma gibt es ungelöste Probleme, d. h. Phänomene, die sich einer erfolgreichen Beschreibung oder Erklärung mithilfe der Theorie entziehen - Kuhn spricht von Anormalien. ... Probleme oder Problemgruppen, die sich hartnäckig einer Lösung mithilfe des Paradigmas entziehen, können aber mit der Zeit das Bewußtsein wecken, daß das Paradigma für ihre Erklärung unbrauchbar ist. Dadurch gerät es in eine Krise. In dieser Krise erhalten neue Theorien, bzw. Paradigmen eine Chance, die sich für eine Lösung der Probleme anbieten. Die Krise bewirkt eine Bereitschaft unter den Wissenschaftlern, eine neue Theorie zu akzeptieren, mit einem neuen Paradigma zu arbeiten.
Einen solchen Paradigmenwechsel bezeichnet Kuhn als eine wissenschaftliche Revolution ... Im Sinn des Kuhnschen Paradigmabegriffs bedeutet dabei ein Paradigmenwechsel nicht nur den Übergang von einer Theorie zu einer anderen, sondern oft auch eine Änderung der wissenschaftlichen Sprache, der Hintergrundannahmen oder der methodologischen Normen. Für Kuhn stellt ein Paradigmenwechsel insgesamt eine grundlegende Änderung der Auffassungen dar, die er mit dem psychologischen Phänomen des Gestaltwandels vergleicht. ...
Die neue Theorie ist zunächst oft weniger exakt formuliert als die alte, ist nicht einfacher und hat oft weniger Probleme gelöst als diese. Die alte Theorie läßt sich auch in der Regel nicht auf die neue reduzieren. ... Insofern sind die konkurrierenden Paradigmen inkommensurabel. Daher gibt es keinen Punkt, an dem der Widerstand gegen ein neues Paradigma unlogisch oder unwissenschaftlich würde.
Das Fazit Kuhns ist also, daß es keine objektiven empirischen oder logischen Kriterien gibt, nach denen man einen Paradigmenwechsel als Fortschritt deuten kann, sondern daß er sich immer nur vom Standpunkt des Siegers aus als Fortschritt darstellt. Fortschritt im kumulativen Sinn gibt es insbesondere nur innerhalb eines Paradigmas.
... Was "wissenschaftlich" oder "rational" ist, bestimmen die Wissenschaftler. Sie bestimmen es je nach ihrem Standpunkt, und dieser Standpunkt ist per definitionem der des Paradigmas, das sich durchgesetzt hat. Die Rede von "Irrationalität" würde voraussetzen, daß es feste, paradigmenunabhängige Kriterien für Wissenschaftlichkeit und Rationalität gäbe, was nach Kuhn nicht der Fall ist.»
Zur Kritik an den Auzssagen Kuhn vgl S.509-512.
Anm.2 Ende - zurück zum Text
Anm 3: Im Gegensatz zu den tibetischen Thangkas. Dort sind alle Tore offen "nur" ein Türhüter bewacht sie. Wer je einem Hüter der Schwelle begegnet, möge sich doch an die Erzählung «Vor dem Gesetz» von Franz Kafka erinnern. Dort brüllt der Türhüter den zaghaften Mann, der jahrelang vergeblich um die Erlaubnis zum Eintritt nachgesucht hatte, an: «Hier konnte niemand sonst Einlass erhalten, denn dieser Eingang war nur für dich bestimmt. Ich gehe jetzt und schliesse ihn.» (Auf diese und andere Erzählungen Franz Kafkas hat mich Marcel Frei aufmerksam gemacht.)
Schreckliche Türhüter stehen denen im Wege, die zuviel Takt und Respekt haben, denen, die sich ängstigen und folgendes nicht bedenken: «Möglicherweise brauchen wir uns nicht länger zu Gefangenen der Annahme zu machen, es gebe etwas Irrationales, irgendwelche dunklen Mächte, auf die wir reagieren müssten. Das einzige, was es gibt, ist der Strom der Erfahrung, so verwirrend und unzusammenhängend er sich uns auch darstellt, und auf der anderen Seite unser Verlangen, eine Ordnung in ihn zu bringen und damit in der Lage zu sein, uns daran zu erfreuen und ihn nicht mehr zu fürchten oder als bedrohlich zu erleben» (
Jarvie 1981:215).
Anm.3 Ende - zurück zum Text
Anm 4: Albert Hofmann, der die Möglichkeit hatte, das «im Rahmen einer planmäßigen Forschung» (Hofmann 1979a:13) hergestellte LSD-25 auf seine unerwarteten Wirkungen hin zu untersuchen, betont, «daß Nebengeleise der Forschung manchmal zu bedeutenderen Ergebnissen führen, als das der Planung zugrundeliegende Hauptgeleise. Auf ein solches fruchtbares Nebengeleise kann man geraten, wenn man sogenannten zufälligen Beobachtungen nachgeht, - nachgehen kann, - nachgehen darf, was bei streng zielgerichteten Projekten ... meistens nicht erlaubt ist» (Hofmann 1979b:12-13).
Ein zufälliges, unerwartetes Ereignis gerät sofort wieder in Vergessenheit, wenn es nicht von einem aufmerksamen Beobachter bemerkt wird, der die Eigenschaft der Serendipity besitzt. Die Bezeichnung Serendipity «wurde vom englischen Schriftsteller Horace Walpole 1754 eingeführt. Walpole kam auf diesen Vorschlag bei der Lektüre des Märchens "Die drei Prinzen von Serendip". Serendip ist der antike Name für Ceylon. Es ist dort von Herrschaften die Rede, die auf ihren Entdeckungsreisen andere Dinge fanden als sie suchten, sei es durch Zufall oder Aufmerksamkeit ... Auch Pasteur kann hier zitiert werden, von dem der Satz stammt: "Dans les champs de l'obsérvation le hasard ne favorise que les ésprits préparés"» (ibid. S.9).
Anm.4 Ende - zurück zum Text
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Anm 5: «Gegen diese Hinweise und Erfahrungen aus dem Unbewußten muß die beschriebene Welt dauernd aufrecht erhalten werden. Die Einflüsse aus dem Körperbereich müssen abgewehrt und abgewertet werden, weil sonst die Welt, wie sie beschrieben wurde, wie ein Kartenhaus zusammenbrechen würde» (Coerper 1981:54). Ausführlicher und konkreter hat dies Theweleit 1978: 165-397 im Kapitel Männerkörper und Weißer Terror beschrieben.
Anm.5 Ende - zurück zum Text
Anm 6: Ausgezeichnete Analysen aufgrund verschiedener Fallsammlungen hat Robert Crookall in seinen Werken gegeben. Es ist ihm gelungen, schlüssig zu zeigen, daß trotz größter kultureller Unterschiede des erfaßten Personenkreises viele Gemeinsamkeiten bei der Außerkörperlichkeit auftreten, die darauf hinweisen, daß solche Erlebnisformen "archetypisch" sind und damit zum Seins-Bestand eines jeden Menschen gehören (könnten). Vgl. z.B.: Crookall 1960, 1964, 1970 und 1972. Auch Celia Green ist zu ähnlichen Ergebnissen wie Crookall gekommen. Die nach ihrem öffentlichen Aufruf eingegangenen Erlebnisberichte hat sie in ihrem Buch Out-of-the-Body-Experiences 1968 erläutert und statistisch ausgewertet. Das Problem der statistischen Auswertung wird noch gesondert behandelt. - Heute darf auf jeden Fall eines festgestellt werden: Außerkörperlichkeit bei voll erhaltenem Ich-Bewußtsein ist ein weltweit bekanntes Phänomen. Man muß die Leute bloß danach fragen, denn von sich aus erzählen sie kaum etwas - aus Angst, belächelt oder als geisteskrank eingestuft zu werden. Manchmal fehlen auch die Worte.
Anm.6 Ende - zurück zum Text
Anm 7: Dieser Gefahr werden manche erliegen, vor allem wenn sie Freundeskreise, Schulen, Sekten und Institutionen gründen. Mehr oder weniger illustre Beispiele sind - neben den 'chiliastischen' Wissenschaftskulten (Erwartung der Wiederkunft Christi und des 1000jährigen Reiches) - Jane Roberts (alias Seth) und Paul Twitchell. Obwohl die außerkörperlichen Erlebnisse von Twitchell sehr beeindrucken (vgl. z.B. Eckankar, Compiled Writings und The Tiger's Fang), ist der Rummel, den er um sich als den 'lebenden Eck-Meister' gemacht hat, fragwürdig. Auch sein Nachfolger Darwin Groß, ehemaliger Ingenieur, begabter Komponist und Sänger (vgl. Simpson) setzt die Tradition des Personenkultes fort.
Yram ist wohltuend zurückhaltend, während Wannall nach seinen UFO-Begegnungen und UFO-Reisen zur fröhlichen Missionierung findet. Wannalls Bericht ist wie folgt eingeleitet: «The ensuing Chapters contain some of the most cogent fundamental Principles of Truth ever to be offered Humankind on our plane of existencen» (p.IV) - Es scheinen viele zur Inflation bzw. zum Größenwahn berufen. Wenn sich derartige Organisationsformen schon nicht vermeiden lassen, sollten sie zumindest eine 'anarchisch-dissipative Strukturierung' erlauben.
Schon Han Shan (1546 bis 1623) bedauerte seine Zeit, wenn er daran dachte, «wie geschickt und rasch die Alten ihren Weg entdeckten. Zu jener Zeit der Hochblüte des Ch'an waren erleuchtete Meister allenthalben zu finden, und im ganzen Land gab es zahlreiche Fälle echten Erwachens. Daher das Wort: 'An Ch'an fehlt es nicht - nur an Lehrern' (Zitat aus Huang Po's Das Wesen der geistigen Übertragung).
Heute sind echte Ch'an-Praktiker selten, und obgleich es viele gibt, die ihn zu üben wünschen, haben ihre Lehrer nur einen schwachen Einblick in die Fähigkeiten ihrer Schüler, fördern ihre weltlichen Gefühle und bestätigen dann diese Erreichungen. Und die Schüler glauben an einen (gar nicht vorhandenen) Erfolg» (
Lu K'uan Yü (1964) 1967:63). Bald jedermann erhält heute die Bestätigung seines Erfolges in Form des "Kürbis-Siegels": «Falsche Bestätigung durch ein 'Kürbis-Siegel' ist soviel wie 'rein äußerlich' und bedeutungslos, während echte Bestätigung des Geistes spurlos ist, wegen der Immaterialität des Geistigen. 'Kürbis-Siegel' ist ein Ch'an-Begriff, den die Meister häufig verwendeten, um Betrug zu kennzeichnen» (ibid.: Anm.15). Han Shan konnte angesichts der damaligen Situation nur noch ausrufen: «So geraten sie nicht nur selbst in die Irre, sie führen auch andre, ihre Schüler, dorthin. Es ist tragisch!» (ibid.: S.63).
Anm.7 Ende - zurück zum Text
Anm 8: Seifert sagt in der Analyse des Leib-Seele-Problems in der gegenwärtigen philosophischen Diskussion: Descartes' «These, daß wir immer (auch im Schlaf, Wahnsinn usw.) denken (bewußt seien), scheint uns angesichts der Erfahrung völlig unhaltbar zu sein» (S.50). Der eigene Erlebnisstandard darf niemals den Bezugsrahmen für eine All-Aussage abgeben.
Anm.8 Ende - zurück zum Text
Anm 9: «Sehr wahrscheinlich ist die ekstatische Erfahrung in ihren unzähligen Aspekten der menschlichen Natur an sich zugehörig, in dem Sinn, daß sie einen Wesensbestandteil dessen darstellt, was man als Bewußtwerdung der spezifisch menschlichen Situation im Kosmos bezeichnet» (Eliade 1960:4).
Anm.9 Ende - zurück zum Text
Anm 10: Die neurophysiologischen Untersuchungen über die Funktionen der beiden Hirnhälften des Menschen haben ergeben, daß jede Hemisphäre ihren eigenen Modus der Wahrnehmung hat. Dazu heißt es bei Ornstein: «Die Großhirnrinde ist in zwei Hemisphären geteilt, die durch ein großes Faserbündel, das 'Corpus callosum', miteinander verbunden sind. Die linke Körperhälfte wird hauptsächlich von der rechten Hälfte der Großhirnrinde kontrolliert, die rechte Körperhälfte von der linken Hälfte der Großhirnrinde. ... Sowohl die Struktur als auch die Funktion dieser beiden 'Halb-Gehirne' liegen zum Teil den zwei Bewußtseinsmodi zugrunde, die gleichzeitig in jedem von uns koexistieren. Obwohl jede Hemisphäre das Potential für viele Funktionen teilt, und obwohl beide Hälften an den meisten Aktivitäten beteiligt sind, neigen beim normalen Menschen die beiden Hemisphären zur Spezialisierung. Die linke Hemisphäre (die mit der rechten Körperhälfte verbunden ist) hat vorwiegend mit analytischem, logischem Denken, besonders in verbalen und mathematischen Funktionen, zu tun. Diese Hemisphäre scheint Informationen aufeinanderfolgend zu verarbeiten. Dieser Operationsmodus muß notwendigerweise logischem Denken zugrunde liegen, da Logik von Aufeinanderfolge und Ordnung abhängt. ... Ist die linke Hemisphäre auf Analyse spezialisiert, so scheint die rechte Hemisphäre ... auf ganzheitliche Geistestätigkeit spezialisiert zu sein. Ihre Sprachfähigkeit ist ziemlich beschränkt. Diese Hemisphäre ist hauptsächlich für unsere Orientierung im Raum verantwortlich, für künstlerisches Bemühen, Kunstfertigkeit, körperliche Vorstellung, das Erkennen von Gesichtem. Sie verarbeitet Informationen diffuser als die linke Hemisphäre, und ihre Aufgaben verlangen, daß gleichzeitig viele Informationen prompt integriert werden.» (S.61-62)
Für den ausschließlich linkshemisphärisch differenzierten Menschen sind alle rechtshemisphärischen Funktionen wie Intuition und Gefühl suspekt - er nennt sie irrational!

Da «Lernvorgänge in beiden Hälften unabhängig voneinander ablaufen können» Dobkin de Rios/Schroeder 1981:547), muß zwischen den beiden Hemisphären nicht unbedingt ein Informationsaustausch stattfinden, woraus sich dann ein Bewußtseinskonflikt ergibt. Dieser Konflikt kann durch das dritte Bewußtsein (tertium datur) behoben werden. «Zu diesem letzteren Zustand kommt es, wenn beide Hälften miteinander verbunden sind und sich in dialektischer Harmonie befinden. Demnach ist die Beziehung zwischen beiden Hirnhalbkugeln nicht notwendig antagonistisch, sondern dialektisch. ... Da der dialektische Modus die Ressourcen beider Hemisphären nutzen und beide komplementären Denkmodi integrieren kann, ist er der Modus des ganzheitlichen Verstehens, der Inspiration, der Gedankenblitze und genialen Ideen» (ibid.:548). Dieser Ansatz von TenHouten und Kaplan, den sie in ihrem Buch Science and its Mirror Image 1973 dargelegt haben, ist vielversprechend, knüpft gewissermaßen an alte Traditionen an und verlangt Schulung und Nutzung der instrumentellen Funktion der linken Hemisphäre und der intuitiven Funktion der rechten.
Bevor wir also «sogenanntes magisches Verhalten als irrational oder abergläubisch abtun, sollten wir es auch unter dem Aspekt der Denk- und Wahrnehmungsmuster der rechten Hirnhälfte sehen» (ibid.). Von diesem Gesichtspunkt aus wäre 'Außerkörperlichkeit' eine Reise in die rechte Hirnhälfte hinein. Meines Erachtens ist diese Auffassung aber doch zu eng, um die Bandbreite außerkörperlicher Erfahrungsweisen zu erfassen. Doch als erster Approach mag sie fruchtbar sein.

Untersuchungen über die Links-Rechts-Asymmetrie des Gehirns gehören, verallgemeinert gesehen, zum Problemkreis der Polarität und Gegensätzlichkeit, über den ein umfangreiches Schrifttum vorliegt, zumal sich auch Dichter und Philosophen intensiv mit diesen Fragen beschäftigt haben. Die Dualität des Menschen läßt sich sowohl anatomisch wie physiologisch aufzeigen. Neuerdings ist es auch gelungen, einige der funktionellen Asymmetrien der Großhirnhemisphären «mit anatomischen Asymmetrien in Beziehung zu setzen und ähnliche ungleichmäßige Aufgabenverteilungen auch bei einigen Tierarten nachzuweisen» (Geschwind 1979:127).

Nicht erst die Neurophysiologen der Moderne haben auf anatomische und physiologische Links-Rechts-Unterschiede hingewiesen. H. Baraduc hat schon vor 1900 mit Hilfe seiner 'Vibrationsmessungen' deutliche Unterschiede zwischen der linken und der rechten Körperhälfte festgestellt. Er folgerte daraus, daß die rechte Körperseite (hauptsächlich linkshemisphärisch kontrolliert!) Ausdruck des Objektiven, der materiellen Realisierung und der physischen Vitalität sein muß. Der linken Körperseite (hauptsächlich rechtshemisphärisch kontrolliert!) ordnete er das Subjektive, das Vorstellungsvermögen, das Gefühl und die psychische Vitalität zu. Auch Iwan P. Pawlow hatte vor der Entdeckung der funktionellen Spezialisierung der Hirnhälften von "zwei Persönlichkeitstypen" gesprochen: «Die Erfahrung zeigt deutlich, daß zwei Kategorien von Menschen bestehen, die sich sehr stark voneinander unterscheiden: Künstler und Denker. Die Künstler begreifen die Wirklichkeit in ihrer Ganzheit als lebendes und unteilbares Wesen. Die Denker sezieren die Realität und zerteilen sie bis in ihre Einzelheiten. Später setzen sie Stück um Stück zusammen und versuchen ihr Leben einzuhauchen» (zit. in: Deglin 1975/1976:32).
Für die höheren Sektoren des Gehirns ist die Interaktion aufgrund komplexer und paradoxer Verbindungen von höchster Bedeutung - bildhaftes und abstraktes Denken können gleichzeitig funktionieren. Andererseits wird «die verbale Aktivität größer, oder, mit anderen Worten ausgedrückt, die Aktivität der linken Gehirnhälfte verstärkt sich» (ibid.: S.32), wenn die rechte Hälfte inaktiv ist. Es scheint auch möglich, daß die eine Hemisphäre «die andere am Arbeiten» (ibid.) hindert.
«So leicht es ist, die Zusammenarbeit zu verstehen, so wenig sinnvoll scheint die gegenseitige Behinderung. ... Der Behinderungsprozeß hält den Stimulus davor zurück, Gebiete zu erreichen, die nicht aktiviert werden sollen. Er vermindert auch die Intensität des Stimulus, so daß dieser gerade die Kraft hat, den gewünschten Effekt hervorzurufen, und hemmt ihn dann, wenn dieser Effekt nicht mehr nötig ist. ...
Die Interaktion der Gehirnhälften gibt uns die Sicherheit, daß immer Reserven vorhanden sind. Sie erlaubt aber auch ein präzises und feinfühliges Gleichgewicht zwischen ihren Handlungen herzustellen. So ist es möglich, jederzeit die beste Verbindung zwischen bildhaftem und abstraktem Denken aufrechtzuerhalten. ...
Wir können mit Bestimmtheit sagen, daß es ein Irrtum ist, von herrschender und untergeordneter Gehirnhälfte zu sprechen. Es gibt keine besseren oder schlechteren Hirnhemisphären. Die rechte Hälfte ist Basis des bildhaften Denkens und erfaßt alle Erscheinungen in ihrem ganzen Reichtum und ihrer Mannigfaltigkeit. Die linke Hirnhälfte ist Basis des abstrakten Denkens und sucht und findet in dieser Welt ein harmonisches Modell von Ursache und Wirkung. Ein Mensch kann aber seine Fahigkeiten nur dann voll ausschöpfen, wenn beide Hälften seines Gehirns zusammenarbeiten und ein harmonisches Gleichgewicht herstellen.» (ibid.)

Das Mysterium Coniunctionis erweist sich damit als das zentrale Problem des Menschseins.
C. G. Jung hat dieser Frage sein letztes Buch gewidmet und darin die Trennung und Zusammensetzung der seelischen Gegensätze in der Alchemie vom psychologischen Standpunkt aus untersucht. Die funktionelle Asymmetrie der Gehirnfunktionen und die Schwierigkeiten der Herstellung eines harmonischen Gleichgewichtes zwischen den beiden Hirnhälften ist eine Problematik, die von unterschiedlichen wissenschaftlichen Ansätzen her aufgezeigt werden kann und außerdem eine lange 'vorwissenschaftliche' Tradition besitzt.
Anm.10 Ende - zurück zum Text
Anm 11: Für die Eidgenössische Matur sind in der Schweiz Prüfungen in zwölf verschiedenen Fachern abzulegen. Das Verhältnis zwischen 'links-' und 'rechtshirnigen' Sachgebieten beträgt 11 : 1. Ausgesprochen rechtshirnig ist bloß das Zeichnen (bzw. für den Typus M anstelle des Zeichnens die Musik). Fächer wie Biologie und Sprachen, die eine Ausgewogenheit zwischen 'links' und 'rechts' erlauben würden, sind ausschließlich linkshemisphärisch orientiert. Das heutige Schulsystem hinkt also weit hinter den Ergebnissen der Hirnforschung nach! Eine Ausnahme davon machen neben vereinzelt auftretenden mehr oder weniger fachkompetent geführten Schulen die Waldorf-Schulen. Letztere haben - gewissermaßen überkompensatorisch - oft einen zu starken 'rechtshemisphärischen' Drall und verlieren auf der 'linken Seite' den Boden unter den Füßen. Für einen ausgewogenen Schultypus ist nicht nur Märchen- und Mythenkunde als selbständiges Fach einzuführen, sondern es braucht auch ein Fach, in dem die Schüler lernen können, wie sie bei vollständig erhalten gebliebenem Ich-Bewußtsein des Nachts 'träumen' können. Ein revolutionäres Fach wäre dann die 'Traumverhaltensschulung'.
Kinder sind durchaus fähig, die Kontinuität des Bewußtseins in ihrem Schlafleben gezielt einzusetzen:

Mit welcher Selbstverständlichkeit sie die fremdartigsten Erlebnisse im Traum annehmen, das wurde mir von meinen eigenen Kindern gezeigt. Tochter und Sohn berichteten manchmal von ausgedehnten Flugerfahrungen und fantastischen und wunderbaren Ereignissen. Viele der nächtlichen Erfahrungen wurden erzählt, und zeitweise ergaben sich Situationen, wo sogar Ratschläge in bezug auf das Verhalten im Traum erteilt werden konnten.

Meine Tochter erzählte eines Morgens, sie sei in einem Traum am Rande eines sehr steilen Abhanges gestanden und habe ins Tal hinuntergehen wollen, aber keinen Weg gefunden, der einigermaßen sicher gewesen wäre.

«Fliege doch das nächste Mal einfach hinunter! Stoße dich vom Rand ab und dann wird es sehr leicht gehen!», riet ich ihr, worauf sie meinte:
«Aber das geht doch nicht! »
«Doch, das geht», antwortete ich, «du mußt daran denken, daß du träumst. Im Traum gelten andere Gesetze und gibt es andere Möglichkeiten, als hier auf der Erde. Da könntest du natürlich so etwas nicht machen, sondem müßtest zu Fuß gehen. Aber in den Träumen kann man fliegen.»
«Ja sicher?»
«Ganz bestimmt!»

Einige Tage später erzählte sie dann, daß sie geflogen sei und ein herrliches Gefühl dabei gehabt habe.

Für Kinder ist es meist ein Leichtes, die Träume zu erinnern. Und wenn sie Gelegenheit haben, ihre Erlebnisse zu berichten, dann verlieren sie das Erinnerungsvermögen niemals ganz. Ihr Verhältnis zu den nächtlichen Erfahrungen ist spontan natürlich und ungetrübt von psychologischen Konzepten. Die Nacht ist für sie ein Erfahrungsbereich, der dem Tag durchaus ebenbürtig ist. Die Traumerfahrungen sind genauso wichtig oder unwichtig wie das Spiel oder die Femsehsendung. Haben sie die Erfahrung z.B. des Fliegenkönnens einmal gemacht, wird sie als Möglichkeit zur Kenntnis genommen und akzeptiert - und spielt keine besondere Rolle mehr. Kinder lassen sich im Spielverhalten und in der Schule ebenso beeinflußen und erziehen wie im Traumverhalten. Ihre Einstellung zum Traum ist ein Spiegel der Einstellung der Eltern diesem Phänomen gegenüber.

Als ich meinen Sohn einmal fragte, ob er sich bei seinem ausgedehnten Flug über Afrika und Asien, von dem er eben beim Morgenessen der Familie erzählt hatte, eigentlich überlegt habe, ob er träume oder nicht, antwortete er:
"Ich hatte überhaupt keine Zeit, daran zu denken! Es ist sehr schwierig gewesen, genau zu erkennen, über welches Land ich fliege, zumal ich so hoch geflogen bin. Und deswegen konnte ich an nichts anderes denken."

Noch ein Letztes zu den Träumen der Kinder: Oft ist zu lesen, Träume seien völlig unzusammenhängend und unverständlich. Das mag für Erwachsene gelten, die vergessen haben, daß sie als Kinder geträumt haben, gilt aber kaum für die Kinder. Ihre Träume sind stets wie Geschichten, die gut verstanden werden. Zudem sind die Träume farbig! Ich habe nie gehört, daß meine Kinder schwarz-weiß geträumt haben. Mein Sohn antwortete auf meine diesbezügliche Frage mit verdutztem Gesicht, dem man deutlich die Mißbilligung ansehen konnte, daß ich überhaupt solch eine unsinnige Frage stelle, nach einigem Zögern:
«Wenn es im Traum Nacht ist, dann sehe ich, wie ich in der Dunkelheit sehe. Wenn es aber Tag ist, dann eben so, wie am Tag. Nachts kann man ja keine Farben sehen, am Tag aber sehr wohl!»

Der Hinweis auf die Kinder zeigt eindrücklich, daß sie einen natürlichen und vorurteilsfreien Zugang zu den Träumen und zu den Vorstufen des luziden Träumens und der außerkörperlichen Erfahrung haben. Viele ihrer Träume scheinen luzide Träume zu sein, nur daß die Kinder keine ausdrückliche Ich-Bewußtseinskontrolle machen - aber das machen sie tagsüber auch nicht, weil sie ihr Ich-Bewußtsein als Selbstverständlichkeit leben.

Pubertierende erleben oft zum ersten Mal ganz bewußt, daß sie auch außerkörperlich existieren können. Dabei sind ihre 'Astral-Sinnesorgane' intakt - und nicht wie bei vielen Erwachsenen funktionsunfähig. Erwachsene verlieren z.B. ihre Sehfähigkeit im außerkörperlichen Zustand nur deswegen, weil sie diese Art des Sehens seit Jahren durch Nichtgebrauch haben verkümmern lassen - und sie müssen auch wieder lernen, die Frage nach dem Ich-Bewußtsein zu stellen. Sie verlieren ihre Kindheit, was die Selbstverständlichkeit betrifft. Es ist die Aufgabe des erwachsenen Menschen, gewisse Dinge kritisch zu bedenken. Ein Kind wird sich kaum überlegen, weshalb die Fähigkeit der Selbstbewußtheit auf den Alltag beschränkt sein und im Schlafzustand des Körpers und in den Träume verloren gehen muß. Gibt es denn einen Grund, jene allnächtlich hell und klar sprudelnden Quellen der seelischen Erfahrung zuzuschütten? Diese Frage haben Erwachsene zu beantworten. Die Antwort liegt in ihrer Verantwortung - und von ihr wird es unter anderem abhängen, ob das Leben einen Sinn hat! (In vielen Märchen geht es übrigens darum, eine verschüttete Quelle wieder zum Fliessen zu bringen.)

Anzumerken bleibt noch, daß kein Kind Drogen einnehmen, hochkomplizierte Übungen durchführen oder gar ein blasphemisches Ritual verrichten muß, um vom Wasser der Quellen der Nacht zu trinken. Es muß auch keine weiten Reisen unternehmen, um einen Guru zu finden, der ihm das Tor zur Seele öffnet, denn das Tor ist schon immer offen! Nur dort, wo es verschüttet wird, kommt es zu Schwierigkeiten.
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Anm 12: In der frühbuddhistischen Philosophie nach der Tradition des Abhidhama werden drei Grade des Wissens unterschieden:

«Der erste Grad entspricht jenem Geisteszustand, der ... als ditthi bezeichnet wird, nämlich Meinungen oder Ansichten, die nicht unter dem Einfluß der Vernunft (paññindriya), sondern unter dem des Begehrens (tanhâ) und der durch dieses bedingten Sinneseindrücke stehen.

Der zweite Grad ist auf Überlegung und Erwägung (vitakkavicarâ) begründet, d.h. auf logischen Folgerungen, und führt - soweit diese innerhalb der Grenzen begrifflichen Denkens und seiner Gesetze sachgemäß angewandt werden - zu wissenschaftlichen und philosophischen Erkenntnissen, die mehr oder weniger dem buddhistischen Terminus 'ñâna' entsprechen.

Der dritte Erkenntnisgrad, der höchste Wissensstand, ist bodhi, der Zustand der Erleuchtung, der mit Hilfe von paññindriya, dem leitenden Prinzip des Geistes, verwirklicht wird und seine Grundlage in jenem intuitiven Bewußtseinszustand (jhâna) der Meditation (bhâvanâ) hat, in dem 'die Identität des erkennenden Geistes mit dem erkannten Objekt' vollkommen hergestellt ist (appanâ bhâvanâ)

Obwohl strenggenommen alles Wissen subjektiv ist, d.h. auf individueller Erfahrung, Beobachtung und Gedankenkombination beruht, können wir den ersten Wissensgrad als im engeren Sinne 'subjektiv' bezeichnen, nämlich insofern er das erlebende Subjekt betont; und in ähnlich begrenztem Sinne können wir den zweiten Wissensgrad als 'objektiv' bezeichnen, während der dritte Grad die Vereinigung von Subjekt und Objekt darstellt. Das 'begrenzt-subjektive' Wissen ist mit den augenblicklichen Problemen der sinnlichen (körperlichen) und emotionellen Seite unserer Existenz beschäfigt. Der zweite Grad, der dem intellektuellen Wissen entspricht, betont die Objekte unserer Wahrnehmung, indem er sie von dem wahrnehmenden Subjekt abstrahiert (nur in diesem relativen Sinne können wir von 'objektivem' Wissen sprechen) und beschäfitgt sich mit Wissenschaft und Philosophie, den Problemen der Erscheinungswelt, die als 'Dinge' oder 'Begriffe' dargestellt werden, d. h. als materielle oder gedankliche Einheiten, begrenzt durch Form oder Definition.

Intuitives Wissen, das den dritten Grad bildet, ist frei von Parteilichkeit, Vorurteil oder Dualismus: es hat die Extreme der Subjekt- und Objektbetontheit überwunden und führt zu einer integralen Weltanschauung, zum Erlebnis eines kosmischen Bewußtseins, in dem das Unendliche nicht bloß verbegrifflicht, sondern verwirklicht wird.» (Govinda 1962:48-49).

Zwischen dieser Einteilung und der funktionellen Asymmetrie des Gehirns läßt sich leicht eine Parallele ziehen:
Die rechte Hemisphäre 'produziert' den Geisteszustand des ersten Wissensgrades ditthi, die linke Hemisphäre den zweiten Grad ñâna. Funktionieren beide Himhälften gleichzeitig, wird der höchste Wissensstand bodhi möglich. Der dritte Grad des Wissens bedingt, daß die Verbindungen zwischen den beiden Vorderhirnhälften funktionieren. Diese «Commissurensysteme bestehen aus Assoziationsfasem. ... Dazu gehören: die Commissura anterior, Teile des Fornix und des Balken (Benninghoff-Goerttler 8.Aufl. 1967:240). Der Balken (Corpus callosum) ist das größte Verbindungssystem und hat eine Länge von 7-9 cm. «Durch den Balken wird eine gemeinsame Tätigkeit beider Hemisphären vermittelt. Dies gilt, wie man annehmen kann, auch für psychische Leistungen» (ibid.:241).
Diese Brücke zu begehen, ist kein leichtes Unterfangen.
Reprobus, der Verworfene, folgte dem Rat eines Eremiten und wurde Fährmann. In seiner Arbeit kam «das verbindende Element zum Vorschein, zwischen den getrennten Ufern des Lebens eine Brücke herzustellen, über die die Menschen zueinander kommen» (Nigg 1964:138). Als er ein unscheinbares Kind, das «Kind, das uns geboren ist» , hinübertragen sollte, drohte er in den Fluten zu versinken - so berichtet die Legende vom Hl. Christophorus.
Die Brücke ist schmal und gefährlich, man geht auf ihr wie auf des Messers Schneide! «Aber das Entscheidende ist, daß diese Wahnsinnigen den Weg durch das Fegefeuer des Wahnsinns zurück finden, auf schmalen Brücken über Schluchten, in denen die Knochen abgestürzter und zu übermütiger Schamanen vermodern» (Duerr 1981:643).
Vgl. auch das Kapitel 3.8.3. Drei Arten, Wissen zu erwerben.
Anm.12 Ende - zurück zum Text
Anm 13: «Jedes seines Wertes beraubte Sein wird amokläufig, droht alles zu zerstören und bleibt endlich in der Statistik einer Wahrscheinlichkeit stecken, deren Gleichgewichtszustand wir dann das System der Naturgesetze nennen. Aber dieser Ruhezustand ist ein höchst fragwürdiger» (Kayser 1950:259).

«Eine Beobachtungsweise, welche das Individuelle absichtlich verwischt, ignoriert und nur die wesentlichsten, am stärksten zusammenhängenden Umstände ins Auge faßt, wird in der Statistik wirklich angewendet» (Mach (1926) 6.Aufl.1968:281).

Für den einzelnenMenschen stellt sich dieFrage, was für ihn das Wesentlichste ist - wohl kaum das, worin er sich von seinen Mitmenschen nicht unterscheidet.
Das Einmalige entzieht sich der Statistik, weshalb dann z.B. bei den Untersuchungen der Intensität der gedanklichen Beschäftigung mit Tod und Sterben die «Persönlichkeitsdimensionen, obwohl von erheblicher Bedeutung für die Psychologie ... bisher kaum beachtet» (Wittkowski 1978:37) wurden. «Implizit verstehen zahlreiche Untersucher intensive Beschäftigung mit dem Tod annähernd in demselben Sinn wie angstvolle Beschäftigung mit dem Tod, eine Auffassung, die einerseits Mißverständnisse begünstigt, andererseits aber empirisch belegbar ist» (ibid.:39).

Gemäß der von Thomae 1971 vorgestellten «Kognitiven Theorie der alternden Persönlichkeit» ist folgendes Postulat von erheblicher Bedeutung: «Verhaltensänderung kovariiert stärker mit erlebter Veränderung als mit objektiver Veränderung» (Thomae 1971:10, zit. in: Wittkowski 1978: 41). Dies dürfte nicht nur im Bereich der Thanatopsychologie zu beachten sein, sondem ist auch im Zusammenhang mit der Außerkörperlichkeit bedeutsam.

Immerhin kann die Statistik etwas leisten, wenn es darum geht, die allgemeine Verbreitung der außerkörperlichen Erfahrung nachzuweisen. Dies ist z.B. geschehen durch Sheils 1978. In den nächsten Jahren wird sich auch die etablierte Wissenschaft mit der ganzen Bandbreite der menschlichen Erlebnismöglichkeiten auseinandersetzen und vertraut machen müssen - bis jetzt im Jahre 1996 ist das nicht geschehen. Denn nur so läßt es sich verhindern, daß ungewöhnliche, aber integrierende Erlebnisse als zersetzend und belastend taxiert und falsch behandelt werden.

Statistische Resultate sind aber trotz allem eher Ausdruck der Suggestivkraft bestimmter Fragestellungen und der Manipulierbarkeit des 'befragten Feldes' als Beweise für den Wahrheitsgehalt einer Hypothese.
« man der inneren Anschauung nach ist, und was der Mensch sub spezie aeternitatis zu sein scheint, kann man nur durch einen Mythus ausdrücken. Er ist individueller und drückt das Leben genauer aus als Wissenschaft. Sie arbeitet mit Durchschnittsbegriffen, die zu allgemein sind, als daß sie der subjektiven Vielfalt eines einzelnen Lebens gerecht werden könnten» (Jung (1961) 1962:l0). So hat es C.G. Jung in seinem 83. Lebensjahr unternommen, den Mythus seines Lebens zu erzählen, wobei er die Feststellung macht, daß er nur «Geschichten erzählen» kann. «Ob sie wahr sind, ist kein Problem. Die Frage ist nur, ist es mein Märchen, meine Wahrheit?» (ibid.; - vgl. zur Frage des Erzählens das, was in einem späteren Kapitel von 'Quellen der Nacht' zu «mythologein» gesagt wird).
«Die wahre Sprache der Psychologie ist nicht Latein, sondern schlichte Erzählkunst» (Naranjo (1973) 1979:161).

«Der am Einzelsystem sich abspielende Vorgang bleibt freilich bei solcher (statistischer) Betrachtungsweise völlig unaufgeklärt; letzterer ist eben durch die statistische Betrachtungsweise aus der Darstellung völlig eliminiert» (Einstein 1936:313;).

Über die Brauchbarkeit der statistischen Methoden und die Voraussetzungen ihres Einsatzes vgl. Ferrera 1976:56-68. Im Hinblick auf die allgemeine Rezeptionsproblematik bei Spontanphänomenen bietet Ferrera mathematische Analysemethoden zu einer objektiven Klärung des Tatbestandes an. Denn «die Rezeptionsproblematik wird insbesondere dann gravierend, wenn die fraglichen Phänomene selten auftreten oder wenn sie sich mit dem jeweiligen Weltbild schwer vereinbaren lassen» (Ferrera 1976:57). «Endzweck all dieser mathematischen Hilfsmittel soll es nicht sein, Gegner zu überzeugen - die Rezeptionsbereitschaft wird wohl durch mathematische Deduktionen ebensowenig beeinflußt wie durch materielle Beweisstücke - sondern das Datenmaterial .zum Sprechen zu bringem, d. h. verborgene Eigenschaften und Zusammenhänge zwischen Einzeldaten aufzudecken» (ibid.).
Für Parapsychologen dürften Ferreras Erörterungen interessant sein, da sie auch neuere mathematische Spezialgebiete wie «Automatische Klassifikation» , «Spieltheorie» und «fuzzy sets theory» zur Sprache bringen. Allerdings würde ich den «volkstümlichen generellen Manipulationsverdacht» (ibid.) nicht einfach als 'unwissenschaftlich' abqualifizieren, sondern mich fragen, ob dieser Vorwurf nicht zumindest teilweise berechtigt ist, denn Formeln und Theorien sind tatsächlich oft klüger als ihre Autoren - und meistens wesentlich beschränkter in ihrem Anwendungsbereich, als es deren Benutzer meinen.

«Wir neigen dazu, in abstrakten Größen zu denken, doch diese zeichnen ein falsches Bild von der wirklichen Welt. Dieser Irrtum erhielt durch die industrielle Revolution im 18. Jahrhundert ungeheuren Auftrieb. Die Naturwissenschaft ließ sich von der Idee leiten, Quantitäten seien gute und zutreffende Kriterien. Dann verfiel sie in den Fehler, Zahlen für Quantität zu halten. Man schwört auf die Statistik, die mit Zahlen umgeht, als wären es Quantitäten. In Wirklichkeit haben Zahl und Quantität verschiedene logische Ursprünge. Zahlen sind diskret . . . Quantitäten sind stets Annäherungen» (Bateson 1978:58;).

«Was wir vielleicht am meisten brauchen, ist ein Abschalten von globalen, nationalen, insgesamt von allen übermenschlichen großen Statistiken» (Schumacher 1979:27).

Schalten wir also einen dominierenden Faktor unseres Weltbildes einmal ab - dann werden wir fähig sein, auch andere Erkenntnisquellen wahrzunehmen.
Anm.13 Ende - zurück zum Text
Anm 14: Ps 38,22: «Verlasse mich nicht, Jahwe, mein Gott, bleib nicht ferne von mir.» Und am Kreuz: «Eloi, Eloi, lama sabachtani» (Mk 15,34), ein Ausspruch des sterbenden Christus, der mit Ps 22,2 identisch ist: «Mein Gott, warum hast du mich verlassen!»
Anm.14 Ende - zurück zum Text
Anm 15: «Das erste wichtige Problem bei der vorgeschlagenen Entwicklung zustandsspezifischer Wissenschaftsformen ist die 'Offensichtlichkeit' der erkannten Wahrheit. ... Dieses Gefühl der absoluten Gewißheit ist höchst befriedigend; aber einer der historischen Gründe für die Entwicklung der Wissenschaft war ... die Anerkennung der Tatsache, daß selbst absolute Gewißheit keine Garantie dafür ist, daß man auch tatsächlich recht hat. ... Der Mensch ... empfindet kein Bedürfnis nach Verifizierung und möchte das Risiko einer Falsifizierung nicht eingehen. ... Da eine der größten Stärken der Wissenschaft darin besteht, daß sie unbedingt auf Bestätigung ihrer Grunderkenntnisse und der Logik ihrer Theorien besteht, kann sich das Gefühl der absoluten Gewißheit als ein ernsthafter Nachteil sowohl für die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit als auch für die Entwicklung von bewußtseinszustands-orientierten Wissenschaften erweisen. Zwar kann allzu großes Mißtrauen ebenso zu einem neurotischen Verhalten führen wie allzu große Leichtgläubigkeit, aber Forscher, die den Versuch unternehmen, solche Wissenschaften zu entwickeln, müssen einfach lernen, dem allzu Offensichtlichen ein gewisses Mißtrauen entgegenzubringen, oder präziser ausgedrückt: sie müssen das Gefühl der Gewißheit als eine wirkliche Erfahrung akzeptieren, d.h. als eine Gegebenheit, aber sie dürfen sich dadurch nicht verleiten lassen, die Notwendigkeit weiterer Untersuchungen zu übersehen» (Tart (1975) 1978:79-80).

Hierbei ist dem Faktor Eigenerfahrung ganz besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Ein Wissenschaftler, der zustandsspezifische Wissenschaftsformen entwickeln möchte, hat selbst in jene Erfahrungsbereiche hineinzugehen, die er untersucht.

«Aber wo auch immer wir mit der Begründung innehalten werden, irgendwo halten wir eben inne. Und das ist ja auch die natürlichste Sache der Welt. Von 'Abbruch', 'Willkür', 'Dogma' usw. werden wir doch wohl immer nur dann reden, wenn wir uns unbefriedigt fühlen, wenn sich noch weitere ernsthafte Zweifel (und keine 'paper doubts'!) einstellen. Daß auch gegenüber der jeweils sichersten Begründung Zweifel 'denkbar' oder 'logisch möglich' sind (cf. hierzu H. Schnädelbach: Reflexion und Diskurs, Frankfurt/M. 1977, S.263 f.), das liegt daran, daß keiner von uns der liebe Gott ist. Wir sind eben Sterbliche und haben eine sterbliche Wissenschaft. Ein Mangel wird das nur für denjenigen sein, der Mühe hat, seine christlichen Gelüste zu zügeln und dessen geheime Maxime 'Alles oder Nichts' ist. Natürlich kann jeder Begriffe wie 'Begründung' oder 'Gewißheit' zunächst überidealisieren, dann feststellen, daß solche Abstraktionen im Leben und in der Wissenschaft unanwendbar sind, und sie schließlich zum Teufel jagen» (Duerr 1978:321).

Abstrahierung und Überidealisierung sind das Ende jeder vernünftigen Sprechweise und dienen wohl einzig dazu, möglichst weit weg von der fraglichen Sache zu bleiben. Diese Verhaltensweisen entsprechen der Ästhetisierung und bedeuten stets: «Up, up, and away!» oder: «Igitt, igitt!» , «Pfui Deibel!»
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Literaturverzeichnis

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