Die Spur der Quader 7
Der Diamantkörper
Werner Zurfluh
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Die Spur der Quader Teil 6

Teil 1

1. Das Geheimnis der goldenen Blüte
Im Buch «Das Geheimnis der goldenen Blüte» von Richard Wilhelm und Carl Gustav Jung ((1929) 1965) wird die Entstehung des Diamantkörpers meisterhaft dargestellt. Dieser Körper ist mit dem "Astralleib", dem "subtle body" bzw. dem "Zweitkörper" - wie auch immer dieser genannt werden mag - gleichzusetzen. Die Benennungen mögen unterschiedlich sein, doch ist es stets ein ganz besonderer "veränderter Bewußtseinszustand" (altered state of consciousness) bzw. eine spezielle Erfahrung, die dem Erleben zugrunde liegt. Ob dieses Erlebnis nun als "Astralprojektion", als "außerkörperliche Erfahrung" (AKE, OOBE (out-of-body-experience)) oder als "luzides Träumen" bezeichnet wird, ist eigentlich egal, denn diese Bezeichnungen sind gleichwertig und vor allem deswegen austauschbar, weil sie stets ein Ich-Bewußtsein voraussetzen, das kontinuierlich ist und um seinen jeweiligen Zustand weiß.

Es wurde mir selber erst durch die Berücksichtigung der eigenen Erfahrungen möglich, einige Stellen dieses Buches auf eine sehr praxisbezogene Art zu begreifen. Tatsächlich kann die mit einer außerkörperlichen Erfahrung und mit einem luziden Traum verbundene Ich-Bewußtseinskontinuität maßgeblich zum Verständnis des chinesischen Textes beitragen. Doch ohne eigene Erfahrungen müßte der alte Text ein dunkles, absonderliches Geheimnis und eine abstruse Theorie ohne jegliche praktische Relevanz bleiben.

"Das Geheimnis der goldenen Blüte" wird im folgenden immer wieder ausführlich zitiert und kommentiert. Selbstverständlich beleuchten meine Kommentare nur gewisse Teilaspekte des von Richard Wilhelm übersetzten alten chinesischen Textes. Dabei wird auch zum Ausdruck kommen, daß meine Erfahrungen verglichen zu denen der alten Meister anfängerhaft sind. Die Reihenfolge in diesem Kapitel wird übrigens weniger durch das Datum der Erfahrungen als vielmehr durch den chinesischen Text bestimmt.

Es ist beinahe aussichtslos, über innere Erlebnisse zu sprechen, ohne zu stammeln, denn vieles ist unsagbar. Bei mir sind es vor allem die Gefühlsmomente, die schwer zu beschreiben sind. Deshalb ist für mich diese schwierige Aufgabe nur durch das simple Erzählen der teilweise doch sehr merkwürdig scheinenden Erfahrungen möglich.

Gerade weil das Verständnis der chinesischen Schrift und vieler anderer Texte bei mir mit dem Erleben des nächtlichen Geschehens zusammenhängt, wird dieses ausführlich beschrieben. Im Unterlassungsfall würden die dem Verstehen zugrundeliegenden Erfahrungen nämlich bloß verschwiegen - und das wäre vor allem unfair gegenüber der nächtlichen Welt.

Weg und Ziel sind eine Einheit! Dem Weg durch die Nacht verdanke ich immerhin den größten Teil des Verständnisses, des Wissens und die Informationsstrukturierung - ferner auch die Gewißheit eines Lebenssinnes, der es mir erlaubt, gefühlsmässig und intuitiv seit Jahrzehnten auf der Spur der "inneren Fährte" zu verbleiben. Dabei kommt es beinahe automatisch zu einer Sensibilisierung der Sinne gegenüber den Belangen des Alltags, denn jede Art von Steigerung der Aufmerksamkeit wirkt sich auf sämtliche Lebensbereiche -also auch auf den Alltag - aus.

Und in bezug auf das nächtliche Erleben ist eben schon so, wie Ravenwomen, eine Cree-Indianerin, sagte: «Mein Großvater glaubte, daß jemand, der auf seine Träume hört, Dinge lernen kann, von denen meine Vorfahren noch wußten, wie sie anzupacken sind.» (Vgl. Gackenbach Thoughts About Dreamwork with Central Alberta Cree )

In der Nacht finden manchmal derart seltsame Begegnungen jenseits der gewohnten Zeiten und Räume statt, daß eine solche oder z.B. die folgende Aussage sofort verständlich wird: Die Maya glaubten, «ihre Beziehung zu den Göttern stärken zu können, indem sie sich an ihre Vorfahren erinnerten und eine Verbindung zu ihnen herstellten. Die Vorfahren wurden als Quelle des Wissens betrachtet, das notwendig war, um nicht nur die Vergangenheit, sondern auch die Zukunft zu sehen. Daher glaubten die Maya, daß sie vorübergehend die prophetischen Kräfte ihrer Vorfahren bekamen, wenn sie den Göttern und ihren frühesten Ahnen etwas zurückgaben.» (Morton & Thomas «Tränen der Götter - Die Prophezeiung der 13 Kristallschädel», München: Scherz 1998:17)

Leider vermeiden es die meisten Forschenden und vor allem die Naturwissenschafter immer noch, auf ihre nächtlichen Erfahrungen zu hören und sie explizit in ihre Studien miteinzubeziehen oder sie wenigstens genauer zu untersuchen - sei es nun mittels Meditation oder unter Zuhilfenahme anderer introspektiver Methoden. Die moderne Bewußtseinsforschung verläßt sich allerdings in steigendem Masse auch auf experimentelle Erfahrungsbeweise - und einige Wissenschafter sind nun doch gegenüber solchen Untersuchungen aus erster Hand aufgeschlossener. (Vgl. Francisco J. Varela in: Varela, ed. «Sleeping, Dreaming, and Dying - An Exploration of Consciousness with the Dalai Lama. Boston», Wisdom Publications, 1997:216.)


2. Das Weiterleben nach dem Tode
Nicht unerwähnt bleiben soll, daß es den Chinesen auch darum ging, «die Möglichkeit des Weiterlebens nach dem Tode, nicht nur als ein der Auflösung verfallenes Schattenwesen, sondern als bewußter Geist vorzubereiten» (Wilhelm (1929) 1965:64). Aber nicht nur im Hinblick darauf, daß der physische Tod als der Weg und als das Tor zu einer anderen Dimension aufgefaßt wird, ist es sinnvoll, den Übertritt in diese andere Welt vorbereitend zu vollziehen. Eine Einübung in das Sterben ist in jedem Falle beruhigend und wirkt heilend, denn es erinnert uns zumindest andauernd daran, daß wir leben.

Es ist nun - vor jeder Diskussion über die Frage eines "Lebens nach dem Tode" - unbedingt daran zu denken, daß es nicht bloß den Tod als solchen gibt, sondern auch den Schlaf. Und dieser wird als der "kleine Bruder des Todes" bezeichnet. Nicht umsonst, denn das bewußte Ich löst sich in ihm normalerweise wie ein flüchtiges Schattenwesen auf. Aber exakt dieses ließe sich vermeiden, wenn sich der Geist auf ein "Weiterleben nach dem Einschlafen" vorbereiten würde.

Aus der Kontaktaufnahme mit den "Quellen der Nacht" ergeben sich auch psychische Einwirkungen auf das vegetative Nervensystem und das endokrinen Drüsensystems. Dies kann durchaus «eine Stärkung, Verjüngung und Normalisierung des Lebensprozesses» (Wilhelm (1929) 1965:64) bewirken. Mit derartigen Effekten hat sich Remo F. Roth im Zusammenhang mit seiner von ihm entwickelten "archetypischen Psychosomatik" bzw. der Methodik der "Symptom-Symbol-Transformation" und deren "Visualisierung" auseinandergesetzt. Dabei wird versucht, mittels eines introvertiert-meditativen Prozesses das Symptom einer Krankheit in eine Vision umzuwandeln (vgl. z.B. Roth 1998a)

Von mindestens ebenso großer Wichtigkeit wie die Auswirkungen auf den physischen Körper ist jedoch die Tatsache, daß durch diese Auseinandersetzung «der Tod in der Weise überwunden wird, daß er sich als harmonischer Abschluß dem Lebensprozeß einfügt. Der irdische Leib wird von dem (zu selbständigem Weiterleben in dem aus seinem Kraftsystem erzeugten Geisterleib befähigten) geistigen Prinzip verlassen und bleibt als austrocknende Schale zurück wie die Schale einer ausgeschlüpften Zikade» (Wilhelm (1929) 1965:64).

Der Geisterleib, der einem Schmetterling gleich seine Hülle verläßt, kann z.B. als "Zweitkörper" oder auch als "Hauchkörper" bezeichnet werden. Es gibt außerdem einen faszinierenden Zusammenhang zwischen den verschiedenen Körpern, denn es ist daran zu denken, daß viele Alchemisten ein Lebenselixier (tinctura) herzustellen suchten, das «beim Aufbau des Hauchkörpers (subtle body) - des mikrokosmischen Aspektes der makrokosmischen Weltseele - behilflich sein soll» ( Remo F. Roth «Weltseele und Hauchkörper», unpubliziertes Manuskript 1992 ).

Weil jeder Mensch «durch die Art und Weise, wie zielstrebig er seinen Hauchkörper aufbaut, sein nachtodliches Leben beeinflussen kann» (ibid.), ist es wohl nicht ganz unerheblich, sich gegenseitig von diesem Unterfangen zu erzählen.

«Es hängt von jedem Einzelnen ab, was mit ihm im Jenseits geschehen wird. In diesem Erdenleben, im Hier und Jetzt der momentanen Existenz, muss der Mensch durch eine Arbeit an sich selbst die Grundlage für das Überleben im Jenseits schaffen» (ibid.).


3. Ein erster Schritt
«Das Geheimnis des Lebenszaubers besteht darin, daß man das Handeln benützt, um zum Nichthandeln zu kommen, man darf nicht alles überspringen und direkt eindringen wollen. Der überlieferte Grundsatz ist, die Arbeit am Wesen in die Hand zu nehmen. Dabei kommt es darauf an, nicht in Abwege zu geraten» (Willhelm (1929) 1965:76).

Ein erster Schritt in diese Richtung geschah bei mir am 15. November 1970.

... Die Gegend, in der ich mit anderen zusammen arbeite, ist mir unbekannt. Wir schaufeln einen Graben. Es sollen Röhren verlegt werden. Nach Feierabend erhalten wir den Lohn für unsere Arbeit.

Unterwegs nach Hause stoße ich auf eine hölzerne Wasserrinne und blicke hinein. Ein Wesen schwimmt still und ruhig mit dem Lauf des kristallklaren Wassers von links nach rechts. Es ist eine äußerst fremdartig Gestalt, halb ein Fisch und halb ein Mensch. Beim Anblick dieses Wesens durchzuckt mich sofort der Gedanke, es anzusprechen.

Trotz meiner Aufregung gelingt es mir, den menschlichen Fisch zu veranlassen, bei mir anzulanden. Ich bitte den Fischmenschen um einen Tausch und biete meinen gesamten Lohn für den Schmuck, den es trägt. Das Wesen willigt ein und wir wickeln das Geschäft ab. Es übergibt mir einen Silberschmuck, der in seiner Ursprünglichkeit faszinierend ist.

... Später sehe ich am Wegrand eine leicht rostige Eisenkugel liegen und frage mich, ob ich sie mitnehmen soll - lasse sie aber liegen. ...

1970 ließ ich das 'Kugelproblem' noch liegen. Es war mir damals einfach nicht möglich, die Ganzheitsproblematik, die in der Kugelform angedeutet schien, von den mir damals bekannten tiefenpsychologischen Auffassungen abzukoppeln und sie unter dem Blickwinkel der Außerkörperlichkeit und der Bewußtseinskontinuität zu betrachten. Der kostbare Schmuck des Fischmenschen hingegen gehörte nicht zu der von den Psychologen gesetzten "Tabuzone des Diamantkörpers", der sich - von mir unerkannt - bereits in Form einer eizellenartigen Eisenkugel bemerkbar machte.

Daß ich alles daran setzte, den "primitiven" Schmuck zu bekommen und sogar meinen ganzen Lohn dafür eintauschte, ist deswegen sinnvoll, weil damit eine nach außen gerichtete monetäre Energieform für etwas eingesetzt wird, das aus der Innenwelt kommt. Ich hatte auch die "Spur des menschlichen Fisches" aufzuspüren und nach links in Richtung der Verinnerlichung zu gehen und 'umzukehren', statt mich weiterhin zu "entäußern" in Richtung gesellschaftlicher Ansprüche und Erfüllung von Karrierewünschen.

«Darum braucht ihr nur das Licht in Kreislauf zu bringen (in einer rückläufigen Bewegung); das ist das höchste und wunderbarste Geheimnis. Das Licht ist leicht zu bewegen, aber schwer zu fixieren. Wenn man es lang genug im Kreis laufen läßt, dann kristallisiert es sich; das ist der natürliche Geistleib. Dieser kristallisierte Geist bildet sich jenseits der neun Himmel. Das ist der Zustand, von dem es im Buch vom Siegel des Herzens heißt: 'Schweigend fliegst du des Morgens empor'» (Willhelm (1929) 1965:77).

«Bei der Durchführung dieses Grundsatzes braucht ihr nach keinen andern Methoden zu suchen, sondern müßt einfach die Gedanken darauf sammeln. Das Buch Long Yen (Long Yen ist das buddhistische Suramgama-Sutra) sagt: 'Durch Sammlung der Gedanken kann man fliegen und wird im Himmel geboren.' Der Himmel ist nicht der weite blaue Himmel, sondern der Ort, wo die Leiblichkeit im Haus des Schöpferischen erzeugt wird. Wenn man lang damit fortfährt, so entsteht ganz natürlich außer dem Leibe noch ein anderer Geistesleib» (Wilhelm (1929) 1965:77-78).

«Die innere, mikrokosmische Befreiung und Erlösung der göttlichen Weltseele aus der Materie erlebt der empirische Mensch im Prozess der introvertierten Transformation der triebhaften Energie, welche dem Aufbau des deifizierten Hauchkörpers für das Leben nach dem Tod dient» (Remo F. Roth Das Radbild des Niklaus von Flüe als Symbol des Aufbaus des Hauchkörpers - Skizzen einer zwanzigjährigen Forschungsarbeit, 1996 ).

Nun ist es allerdings oft so, daß die innere, mikrokosmische BEFREIUNG der göttlichen Weltseele aus der Materie SPONTAN irgendwann im Verlaufe des Lebens erlebt wird. Die Probleme der Erlösung, Transformation und Deifizierung können dann - wie das Nachtodleben - mehr oder weniger ausgeklammert werden.

Es gibt nämlich zig-Tausende von Menschen, welche die Außerkörperlichkeit - manchmal im Zusammenhang mit einer Nahtoderfahrung - erlebt haben. Ich selber erlebte den Hauchkörper erstmals bewußt im Alter von etwa 15 Jahren und hatte seither weit mehr als 1000 derartige Erlebnisse. Vor allem in den ersten Jahren kümmerte ich mich nicht direkt um die Fragen rund um Erlösung, Transformation, Deifizierung und Nachtodleben. Das geschah bloß indirekt, denn gewisse Themen brachten in mir schon in der Jugendzeit etwas zum Erklingen. Manchmal sehr zum Erstaunen der Erwachsenen, denn mein Interesse z.B. für Mystik und Tiefenpsychologie schien ihnen etwas verfrüht.

Die Erfahrung des Hauchkörpers kann durchaus als eine «innere, mikrokosmische Befreiung der göttlichen Weltseele aus der Materie» beschrieben werden. - Die Ablösung des Hauchkörpers vom physischen Körper wird nämlich tatsächlich als eine BEFREIUNG erlebt, jedoch nicht als eine innerliche und mikrokosmische, sondern simpel als eine Loslösung und Entfernung von der materiellen Körperlichkeit, die "zurückbleibt" - z.B. im Bett liegend, an einem Unfallort oder auf dem Operationstisch. Um diesen Vorgang beschreiben zu können als «mikrokosmisches Geschehen innerer Natur, bei dem die göttliche Weltseele aus der Materie befreit wird», wäre ein bestimmtes theoretisches Vorverständnis notwendig! Bei Remo F. Roth ist es dasjenige der Komplexen Psychologie von C.G. Jung.

Für jene jedoch, die den Hauchkörper SPONTAN erleben, ist dieser einfach nur ein zweiter Körper und ein Vehikel für die außerkörperliche Erfahrung. Dieser 'subtle body' erscheint keineswegs als deifiziert, sondern in etwa dem physischen Körper gleichwertig - ohne allerdings dessen Krankheiten und Gebresten aufzuweisen. Eventuelle Deformationen des Hauchkörpers haben andere Ursachen.

Daß der Hauchkörper in seiner deifizierten Form für das Leben nach dem Tod dienen könnte, ist sehr wahrscheinlich, dürfte aber - nebenbei gesagt - einen 15 Jahre alten Knaben nicht besonders interessieren und auch nicht seinem Wissensstand enstprechen. Es kam bei mir zu einer anderen Art der Deifizierung. Zu einer, die meine Einstellung betraf, denn ich wurde nach und nach zu einem tiefreligiösen Menschen jenseits jeder Konfessionalität. Viele (Hauchkörper-) Erlebnisse waren oft schockartig und sowohl ein Tremendum wie auch ein Numinosum. Sie erschütterten und beeindruckten mich zutiefst, machten mich sprachlos und liessen mich hellhörig und achtsam werden. Ich begann, die spirituelle Verbundenheit mit dem ganzen Kosmos zu erleben und sozusagen "körperlich" zu spüren - und wurde deswegen beinahe gezwungenermassen "rückbezüglich" und somit "religiös".

Wer sich mit dem Hauchkörper aufgrund von Erlebnissen oder einfach aufgrund theoretischer Überlegungen auseinanderzusetzen beginnt, setzt als "moderner Alchemist" «den Prozess der Psychifizierung der Körpermaterie in Gang ..., zu welchem aufgrund des synchronistischen Modus dieses Geschehens ein Parallelprozess der Rematerialisierung der Psyche gehört» (Remo F. Roth Das Radbild des Niklaus von Flüe als Symbol des Aufbaus des Hauchkörpers). Wer dies tut, wird bald einmal merken, daß trotz der engen Verflechtung der Körperlichkeit mit der Bewußtheit keine Wesensgleichheit zwischen den beiden besteht. Bei einer "Ablösung" des Hauchkörpers vom physischen Körper bleibt die Kontinuität des Ich-Bewußtseins ebenso erhalten wie bei einem Wiedereintritt. Möglicherweise wird der Mensch bei diesem Prozess lernen, dass die «in einem introvertierten Schöpfungsakt durch den Menschen neu gezeugte Materie als subtil oder hauchförmig zu verstehen» (ibid.) ist. Diese 'Materie' entspricht «dem in diesem Leben für das Leben nach dem Tod aufzubauenden Hauchkörper, welcher seinerseits den mikrokosmischen Aspekt der erlösten Weltseele darstellt» (ibid.). Es handelt sich also bei der Deifizierung um einen Prozeß der LÄUTERUNG und der ERLÖSUNG, in dessen Verlauf eine REINIGUNG der Körperlichkeit des Ich stattfindet. Dies alles geschieht im Innersten des Menschen, in seinem "Herzen", das in der muslimischen Mystik - im Sufismus - ein Spiegel ist, «in dem Gott sich selber schauen kann» (ibid.). Eines Tages wird es dann geschehen, daß der geläuterte Zustand des Herzens einen diamantartiger Astralleib (einen subtle body oder eben einen Hauchkörper) entstehen läßt, «der die Fähigkeit besitzt, in den Himmel aufzusteigen» (ibid.).

Die Läuterung und "Zerstörung der außergöttlichen Einflüsse" kann sehr schmerzhaft sein, denn vorerst einmal muß das "alte, eindimensionale Herz" zerbrochen und damit das bislang geltende (materiell-körperliche) Weltbild zerstückelt und "auseinanderdividiert" werden. Falls das "Herz" nicht bereits unterwegs bei lebendigem Leibe in der Introversion bzw. einem "Traumzustand" zur "Ruine" geworden ist, wird es äußerlich spätestens in dem Moment dazu gezwungen, "in kleine Stücke zu zerspringen", wenn der physische Leib stirbt und zerfällt.

Selbstverständlich kann dies alles als Humbug bezeichnet werden. Bedingung dafür ist nur die strikte Ablehnung der seelischen Dimension des Menschen. Diese Verneinung muß allerdings mit einem Verlust der Menschlichkeit bezahlt werden und ist gleichbedeutend mit einer totalen Versteinerung und Erstarrung des Herzens. Ein solcher Mensch wird zu einem "lebendigen Leichnam", zu einer "Larva" oder zu einem "Zombie". Mit der Zeit löst er sich dann total in der Lieblosigkeit auf und verweht in ein absolutes Nichts.

Dies ist nun exakt der Punkt, an dem der Selbsterkenntnis- und Individuationsprozess mitsamt dem Wissen der Komplexen Psychologie C. G. Jungs ansetzen kann, denn hier beginnt die eigentliche Transformation und damit der sinnvolle Einbezug des christlichen Mystikers Niklaus von Flüe und z. B. der muslimischen, buddhistische und hinduistischen Mystik «mit ihrem Anliegen des Aufbaues des Hauchkörpers» (ibid.).

Eine Deifikation des Hauchkörpers kann ganz von alleine geschehen - wie eben auch die Menschwerdung und Individuation -, erfordert jedoch oft eine ernsthafte und bewußte Auseinandersetzung in Form eines "Opus magnum". Es geht dabei um eine «Vereinigung von Eros und Logos mit der Hilfe der Meditation (imaginatio)» (ibid.).

Viele Psychologen scheinen nicht zu begreifem, daß eine Hauchkörpererfahrung noch lange keine automatisch stattfindende Deifikation bzw. eine Erlösung der göttlichen Weltseele aus der Materie bedeutet. Vielmehr ist die Hauchkörpererfahrung wie der Traum "nur" ein Ausgangspunkt für die Bewußtwerdung und die Sinnfindung. Hauchkörpererfahrungen haben allerdings einen Vorteil gegenüber den normalen Träumen, weil das Ich sich der Tatsache, "außerkörperlich" zu sein und unabhängig vom Zustand des physischen Körpers existieren zu können, voll bewußt wird.

«Statt den Hauchkörper als losgelöst vom physischen Körper zu erfahren, kann es auch sein, daß er als 'Diamant' im Bauch ruht oder das Herz erfüllt. Im Sterbeprozess wird sich dieser Diamant sehr wahrscheinlich vom physischen Körper trennen, aber im Moment vermittelt er dem Menschen ein äußerst intensives Lebensgefühl, ein inneres Glück, Zufriedenheit, Frieden mit der Welt und manchmal sogar den Zustand der Glückseligkeit» (Hinweis von Remo F. Roth). Dies ist eines der günstigen Zeichen, die im "Geheimnis der goldenen Blüte" erwähnt werden!

Ob dieses Wissen, das weit über die Grenzen des im Materiellen Verhafteten hinausgeht, letztlich den Erkenntnisprozeß der Menschwerdung fördert, hängt vom Verhalten und der ethischen Einstellung des Ich ab.

Dem Entschluß, den Hauchkörper als "Diamant" im Bauche bzw. im Bereich des Solarplexus ruhen zu lassen und sich prinzipiell NICHT um eine außerkörperliche Erfahrung zu bemühen, steht ein anderes Extrem gegenüber, nämlich der Versuch, JEDE Nacht willentlich auszutreten.

Bei mehrfach "erzwungenen" - aber auch bei den spontan sich ereignenden - außerkörperlichen Erfahrungen kann es beispielsweise zu einem Albdruck kommen. Dabei ist zu spüren, daß etwas auf dem Oberkörper oder dem Kopf lastet, was den Austritt sehr erschwert. Es müssen Gegenmaßnahmen getroffen werden wie beispielsweise das seitliches Hinausrollen oder das gewaltsame Herauszukatapultieren. Bei einem vollbewußten Wechsel bei kristallklarer Bewußtseinskontinuität kann es geschehen, daß in der Anfangsphase gleich nach dem Austritt manchmal überhaupt nichts gesehen wird - alles bleibt schwarz und "zappenduster". Für eine Weile tappt man dann vielleicht vorsichtig und mit ausgestreckten Händen Schritt für Schritt "tastend" voran, bis endlich optisch etwas zu erkennen ist. Bei erzwungenen Austrittserfahrungen - aber auch bei anderen - kann es vorkommen, daß eine Rückkehr in den physischen Körper völlig unmöglich scheint oder der physische Körper unbeweglich in einem kataleptischen Zustand verharrt, was extrem unangenehm und sehr beängstigend sein kann.

Es gibt neben der Beachtung der Träume vor allem im Zusammenhang mit den willentlich "erzwungenen" Austritten eine passende Möglichkeit, sich darüber Aufschluß zu verschaffen, ob die mit den außerkörperlichen Erfahrungen verbundenen Absichten im Hinblick auf das "spirituelle Wachstum" rechtmäßig sind. Nach einem Austritt können beispielsweise jederzeit die Hände des Zweitkörpers betrachtet werden. Sind diese im Gegensatz zu den Händen des physischen Körpers irgendwie deformiert, ist dies ein Hinweis auf eine irgendwie "defekte" Handlungsweise. Eine Verunstaltung sollte unbedingt beachtet und genauer bedacht werden.


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Fortsetzung 4. Eine Anekdote des Scheiterns in:
Die Spur der Quader Teil 8


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